Signal zur neoliberalen Rückwärtsrolle? –betr.: „Toskana, ich komme“ u.a., taz vom 12. 3. 99

Das Bekennerschreiben folgte unvermittelt von den Börsen. Freimütigkeit ist spätestens seit der Losung „BILD Dir Deine Meinung“ triumphaler Ausdruck der Sieger im Kampf um die öffentliche Meinungsbildung. Diese Dreistigkeit ist die Konsequenz aus der etablierten Einseitigkeit der Problemorientierung, wie etwa der internalisierten Standortlogik. Dem Vorschlag der Wirtschaft, Lafontaines Rücktritt als das Eingeständnis aufzufassen, daß Politik nicht gegen alle Interessen durchgesetzt werden kann, folgen die Medien ergeben.

Ist das die „Neue Mitte“, eine willenlose Masse, die sich gegenüber einer hemmungslosen Wirtschaft gefügig erweist? Sich mit einer Wirtschaft zu arrangieren, die sich ungeniert gesellschaftsfeindlich gebärdet, wenn soziale Gerechtigkeit nicht nur als Platitüde eingefordert wird, sollte skeptisch stimmen. So sind es weniger die Vorgänge innerhalb der Bundesregierung, die beklemmend wirken, als vielmehr die Entschlossenheit der deutschen Öffentlichkeit, mit der sie am Triumph über Lafontaine teilnimmt. Neben der sozialen Selbstgeißelung (Autos kaufen doch Autos ...) bleibt die düstere Vermutung, daß es die verstohlene Auffassung sozialdarwinistischer Verhältnisse ist, die sich den Interessen der Wirtschaft annähert. Arnt Goede, Hamburg

Selbst wenn man kein Anhänger der SPD ist, war es doch so eine Art beruhigendes Gefühl, Oskar Lafontaine als Finanzminister in der Regierung zu haben. Er war bereit, dem Kapital auf die Finger zu klopfen, in diesen Kreisen unpopuläre Maßnahmen anzuschieben, und bildete damit ein wohltuendes Korrektiv zum Kanzler der Bosse, Schröder. Lafontaines Aufgabe läßt befürchten, daß die Regierung in Zukunft massiv vor den Interessen des Kapitals in die Knie gehen wird, und vergißt, daß sie von Bürgerinnen und Bürgern gewählt wurde und nicht von den Bossen. Davon zeugen heutige Meldungen, daß Schröder die Steuerreform stoppen und in neuer Form mit deutlich niedrigeren Unternehmenssteuern durchsetzen will.

Auch für die SPD als Partei ist Lafontaines Rückzug fatal. Es dürfte schwerer bis unmöglich werden, sich mit der SPD als einer sozialen Partei zu identifizieren, schon gar nicht, wenn Schröder den Parteivorsitz übernehmen sollte. Die Zeit ist gekommen, da sich aktive Anhänger der Politik von Lafontaine, vor allen Dingen in Ostdeutschland, wirklich ernsthaft fragen sollten, ob sie noch in der richtigen Partei sind. Wer das bezweifelt, wer soziale Gerechtigkeit und Sozialismus weiterhin für erstrebenswert hält, findet mit Sicherheit in der PDS mehr Gemeinsamkeiten. Stefan Ullmann, Berlin

Ich bin entsetzt über die Reaktion führender Repräsentanten der Grünen auf den Lafontaine-Rücktritt. Trittin sieht die Chance, nun ein Stück mehr auf die Wirtschaft zuzugehen und sich von tradierten Vorstellungen zu befreien. Fischer will gar von mangelndem Teamgeist im Kabinett nichts bemerkt haben. Diese Botschaft macht sich die interessierte Behauptung der Nimmersatts aus den Konzernetagen und ihrer Tintenkulis in den Medien zu eigen, daß Lafontaine ein platter Umverteiler und nicht mehr zeitgemäß war. Tatsächlich ist in Wahrheit etwa der Einstieg in die Ökosteuer als Eckpfeiler einer überfälligen Wirtschaftsreform ohne Lafontaine gar nicht denkbar gewesen. Wer gegen den ehemaligen, manchmal sicherlich auch unbequemen Mitspieler jetzt nachtritt, signalisiert die Bereitschaft zur neoliberalen Rückwärtsrolle. [...] Kristan Kossack, Minden

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