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Sigmund Jähn und Günter KunertHelden wie wir

Wenn wir unsere Toten begraben – unsere Omas, unsere Dichter, unsere Kosmonauten –, dann fragen wir im Stillen auch, wie viel Zeit uns wohl noch bleibt.

Kosmonaut Sigmund Jähn, nach seinem Flug mit der Sojus 31 zur Raumstation MIR, 1978 Foto: ap

S igmund Jähn ist gestorben. Günter Kunert ebenfalls. Und nachmittags hatten wir noch in Sachsen am Grab meiner Oma beisammengestanden. Die ganze Bagage, versunken in Gedanken daran, wie die Zeit verrinnt. Dass die, die man liebt, gehen müssen.

Sigmund Jähn, mein Kosmonaut, gehörte für mich dazu. Günter Kunert, spracheleganter Chronist dieses Landes, auch. Der eine wurde 82, der andere 90 Jahre alt.

Meine Oma ist vor elf Jahren gestorben, sie wurde 99 Jahre alt. Unsere Familie stand also an ihrem 110. Geburtstag beisammen. Jedenfalls alle, die die Zeit gefunden hatten, in dieses kleine Nest in Sachsen zu fahren, in dem sie zuletzt gelebt hatte. Meine inzwischen sehr alten Eltern, mein ziemlich alter Onkel, dessen erwachsene Kinder samt Babysöhnen, mein mittelalter Bruder und meine alternde Wenigkeit.

Wir standen also da, ordneten die Chrysanthemen und fragten uns im Stillen, wie viel Zeit uns allen wohl beschieden sein mag. Eine kleine Furcht lag in der Altweibersommerluft. Meiner Oma hätte das nicht gefallen. Sie war eine strenge Frau gewesen, eine sächsische Postbotin, die ausgestellte Gefühligkeit wegzuwischen pflegte wie alte Brotkrümel.

Es ist okay, zu sterben. Einerseits

Ich kann mich noch gut an den Tag ihrer Beerdigung erinnern, an mein Gefühl, dass es in ihrem hohen Alter absolut okay ist, zu sterben. Einerseits. Aber eben auch, wie schlimm es ist, sie endgültig verloren zu haben. Wer wird sich noch an mich erinnern, wie ich als Kind in ihrer Küchenbank im Dresdner Hechtviertel sitze, vor mir auf dem Frühstücksbrett drei harte Weißbrotschnitten, dünn mit Margarine und Zörbiger Kunsthonig bestrichen? Tod, du Arschloch!

Wir saßen am Tag ihrer Beerdigung wundgeheult in der Kapelle, und als alles vorbei war, ging ich mit meiner Schwester vor das Friedhofstor und rauchte nach Jahren eine Zigarette. Auch schon egal.

Nun also Sigmund Jähn. Einziger DDR-Bürger im Weltall. Morgenröthe-Rautenkranz. Blauer Trainingsanzug. Schönes, ganz ungekünsteltes Lächeln.

Die Journalistin Jana Hensel hat Jähn im Sommer letzten Jahres besucht. Sein Weltraumflug war da genau 40 Jahre her. Hensel fragte in ihrem Text: Warum ist dieser Mann kein Held? Sie meinte: kein gesamtdeutscher Held.

Liebe ohne gesamtdeutsches Tun

Ich dachte damals, dass der Umstand, dass Sigmund Jähn im Westen wohl der Mehrheit kein Begriff ist, zwar bedauerlich sei. Aber auch kein Beinbruch. Sigmund Jähn wurde von so vielen Menschen aufrichtig und so was von nicht verordnet gemocht, auch von mir. Das war eine Liebe, die keines gesamtdeutschen Tums bedurfte. Jähn, der Vogtländer, hätte vermutlich auch keinen allzu großen Wert auf nationales Heldentum gelegt.

Günter Kunert ist noch weniger ein gesamtdeutscher Held gewesen. Obwohl der Autor, Lyriker, Grafiker dazu getaugt hätte. In den achtziger Jahren, als ich noch Bücher – so wie heute das iPhone – in der Manteltasche durch Ostberlin trug, las ich von Kunert „Der andere Planet“.

In seinem Reisetagebuch erzählte er von seiner Gastdozentur an der University of Texas Anfang der Siebzigerjahre. Ich blätterte die holzigen Seiten um und begriff, dass es da draußen, hinter den Mauern in unseren Köpfen, noch eine komplett andere, weitere und komplizierte Welt gab. Dass wir uns aber – so wie Kunert – überall hin mitnehmen. Unsere Geschichte, unser Herz, unsere Familie, die wir für je eine Lebenszeit zugeeignet bekommen. Und sei es nur in Gedanken.

Am Ende dieses Septembersonntags 2019 saß ich, eingekapselt in eine stählerne Autohülle, im zähen Rückreiseverkehr von Dresden nach Berlin. In meinem Handy blitzten die Nachrichten auf. „Trauer um Raumfahrer Sigmund Jähn“. „Schriftsteller Günter Kunert ist tot“. Hinten saßen Mama und Papa und blickten müde und still gemeinsam in den Brandenburger Sonnenuntergang neben der A13. Ich sagte ihnen nichts. Aber ich dachte: Nehmt eure Helden in den Arm.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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12 Kommentare

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  • Betreffs Sigmund Jähn fällt mir ein alter DDR-Witz ein:



    Die Staats- und Parteiführung unter Leitung des Genossen Honecker hat zu Ehren des Kosmonauten Sigmund Jähn beschlossen, das Wort „Himmel“ durch das Wort „Jähnseits“ zu ersetzen!



    War wohl am heutigen Tage nicht so passend. Tschuldigung.

    • @Pfanni:

      Nö. Ja. Wieso.

      “…& den Himmel überlassen wir den Spatzen,“ (H.H.)

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Lowandorder:

        Aus dem Ministerium für Besserwisserei:

        "Den Himmel überlassen wir



        Den Engeln und den Spatzen."

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Liggers - by heart & short cut - Zwischen Tür&angel. 🤓

          kurz - Erbsen&Schoten



          Frißbee sde patzt 😎

          • @Lowandorder:

            Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - ergänzt -

            “ Das sind so Schoten. "Ein neues Lied ein bessres Lied, oh Freunde will ich Euch dichten..." Ich kenne die Weise, ich kenne den Text.("Willst Du nicht aufstehn, Heinrich?") - Die Leute sind so kleinlich.“

            Liggers - mir‘s nich peinlich.

  • “Ein Land das …“ & Volkers 👄

    “…& wir begraben mal morgen unsere Großmutter & ihr maa nich“ - “…& wir ham maa n Kühlschrank & ihr maa nich…“ “…& wir ham maa keinen Hunger & ihr maa nich…“



    & usw usf fff - …ad infinitum.

    kurz - Bert Bricht & LAIKA - reicht.



    (Dank geht an RINGELNATZ1;) •

    • 0G
      05158 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Alles hat immer zwei Seiten der Medaille.



      Sigmund Jähn verdankte seine Entwicklung zum Helden einem System, welches auch folgendes hervorgebracht hat:

      www.youtube.com/watch?v=c_kiJht_oJM



      www.youtube.com/wa...eNr7utZ0bA&index=6

      In meinen Erinnerungen trenne ich Günter Kunert eindeutig und sehr bewusst von Sigmund Jähn.

      • @05158 (Profil gelöscht):

        Liggers.

        But daat - ”Alles hat immer zwei Seiten der Medaille.“ - kommt innen Skat.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    In der Conclusio bin ich ganz bei Frau Maier: JA, nehmt Eure Helden in den Arm.

    Auch wenn - hauchzarte Anmerkung der Abteilung für Nörgeleien - Helden nur sehr selten kollektive sind. Einer dieser wenigen war bei uns im Westen der ebenso charismatische wie zwielichtige JFK. Eine wunderbare Projektionsfläche für Mythen und Legenden.

    Meist entstehen Helden nach - mehr oder weniger bewußten - persönlichen Vorlieben. Und die sind, wie wir alle wissen, sehr unterschiedlich.

    Insgesamt für mich eine berührende Kolumne.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      "Insgesamt für mich eine berührende Kolumne."

      Geht mir genauso.

      Kennen Sie den noch:

      "John F. Kennedy kaut einen Kaugummi, spuckt ihn wieder aus und Du bist raus."

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Ach was! & But.

        Erinner das - mit Alexander - oder so wat ander wat. 👻

    • 9G
      94778 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Ja genau.



      Ginger mir genauso.