: Sierra Leones Rebellen werden hoffähig
Das westafrikanische Land findet zum Frieden, seit im benachbarten Guinea Krieg herrscht. Jetzt sucht das UNHCR Kontakt zu der Guerillabewegung RUF, um eine Lösung für die hundertausenden von Flüchtlingen zu finden
BERLIN taz ■ UN-Flüchtlingshochkommissar Ruud Lubbers ist gestern auf seiner Westafrikareise in Sierra Leone eingetroffen und hat sofort Aufsehen erregt, indem er laut über eine Kontaktaufnahme zur sierra-leonischen Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) nachdachte. Die verfemte Guerillatruppe, die von UN-Hardlinern in Sierra Leone sowie den im Land stationierten britischen Truppen als auszurottender Erzfeind angesehen wird, soll bei einer Lösung des Flüchtlingsdramas im Südwesten Guineas mithelfen. Hunderttausend Flüchtlinge und Kriegsvertriebene sind dort wegen Kämpfen zwischen guineischer Armee und Rebellen von Hilfe abgeschnitten.
Seit die RUF im Mai 2000 mehrere hundert UN-Soldaten in Sierra Leone gefangen nahm und damit das bis dahin geltende UN-überwachte Friedensabkommen für das Land zusammenbrechen ließ, hat es lediglich einmal hochrangige Kontakte zwischen UNO und RUF gegeben. Sie führten am 10. November letzten Jahres zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens, in dem die RUF der UNO erlaubte, ihre Truppen in ganz Sierra Leone zu stationieren.
Trotz verbreiteter Skepsis ist Sierra Leone weitgehend friedlich geblieben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten hat die RUF wichtige Stellungen geräumt und Kämpfer in UN-Demobilisierungslager geschickt. Hilfreich dabei ist, dass die Rebellenbewegung kopflos ist: Ihr historischer Führer Foday Sankoh sitzt in Freetown im Gefängnis, ihr gefürchteter Militärchef Sam „Moskito“ Bockarie lebte als Diamantenhändler in Liberia und verließ das Land Anfang Februar mit unbekanntem Ziel. Der tatsächliche RUF-Führer in Sierra Leone, Issa Sesay, gilt als Anhänger einer politischen Lösung des Konflikts. Während die RUF in Sierra Leone Frieden wahren lässt, hat sie ihre militärischen Aktivitäten nach Guinea verlagert. Im Januar begannen RUF-Kommandeure im Norden Sierra Leones der Zivilbevölkerung zu erzählen, der Krieg in Sierra Leone sei vorbei und man werde ab jetzt in Guinea kämpfen. Hochrangige RUF-Kommandeure kämpfen inzwischen im Süden Guineas an der Seite guineischer Rebellen gegen die guineische Armee. Die hat wiederum Angehörige der regierungstreuen sierra-leonischen „Kamajor“-Miliz rekrutiert, sodass an Guineas Kriegsfront teilweise auf beiden Seiten Sierra-Leoner stehen.
Viele einfache Kämpfer der RUF haben den Grenzübertritt verweigert, sind in Sierra Leone geblieben und ergeben sich dort der UNO. Je intensiver die Kämpfe in Guinea werden, desto mehr rücken die bisherigen Kriegsgegner in Sierra Leone zusammen: Die RUF hat jetzt ein Interesse daran, dass UN-Soldaten in den Norden Sierra Leones einrücken, weil dort Guineas Luftwaffe massive Luftangriffe gegen Dörfer mit Rebellenposten fliegt. Anfang Januar gab die RUF die wichtigste Straße aus Sierra Leones Hauptstadt Freetown in den Norden des Landes frei. Letzte Woche ergaben sich an dieser Straße 15 hochrangige Rebellenkommandanten. So besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Frieden in Sierra Leone und Krieg in Guinea. DOMINIC JOHNSON
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