■ Schnittplatz: Sieben goldene „Tatort“-Regeln
Es käme dieser Tage die sogenannte „Fernsehgeneration“ an die Macht, wissen die Medienpädagogen und malen uns ein schauerliches Bild von den nun Dreißigjährigen, welche – von den Schöllermanns sozialisiert, von Flipper emotionalisiert, von Schweinchen Dick degeneriert – ihre Moralbildung ausschließlich der Flimmerkiste verdankten und mit nur 624-Halbbildern pro Blick entsprechend bedenklich realitätsblind durch das Leben wandelten.
Angesichts solcher Erkenntisse darf sich die nationale Fernsehkritik ihrer beobachtenden, ja kritischen Chronistenpflicht natürlich keinesfalls entziehen. Und so schauten wir, immer die Wohlfahrt des Staates im Blicke, selbst an unserem freien Sonntag abend fern und wählten uns den „Tatort“ des Hessischen Rundfunks, weil öffentlich-rechtlich und trotzdem spannend, weil Unterhaltungsfernsehen und damit mehrheitsfähig.
Was wir dort sahen, stimmt uns allerdings – ganz anders als die Apokalyptiker unter den Medienwissenschaftlern – durchaus hoffnungsfroh: Auf den kargen neunzig Minuten des „Rastplatzmörders“ wurden gleich sieben goldene Lebensregeln didaktisch aufbereitet. Und weil wir ahnen, daß nicht alle taz-Menschen (heißes Medium! McLuhan!!) dem flimmernden Kulturverfall (Tod durch Amüsement! Postman!!) verfallen sind, tragen wir unsere gewonnene Erkenntnis hiermit hinaus in die lesende Welt: 1. Benutze nie die Mitfahrzentrale zur Überwindung größerer Strecken, denn sonst wirst Du von ältlichen Handlungsreisenden begrapscht. 2. Fahre nie nach Kassel, wenn Du aussiehst wie Ulrich Wildgruber, sonst wirst Du unschuldig in ein Kapitalverbrechen verwickelt. 3. Heirate nie eine herzschwache Frau im Rollstuhl, dadurch wird nur alles noch komplizierter. 4. Lasse Dich keinesfalls in Deiner Jungend mißbrauchen, Du würdest in Deinem späteren Leben erst lesbisch, dann tot sein. 5. Laufe nie unschuldig vor der Polizei davon, sonst gerätst Du unnötig in Atemnot. 6. Wisse nie mehr als der Kommissar, sonst trachtet man Dir nach dem Leben. 7. Vertraue nie einem Privatfunkmoderator. Denn er ist letztlich immer der Mörder.Klaudia Brunst
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