: Sieben Stunden Präventivhaft in Bremen
■ Bremen praktiziert Präventiv-Gewahrsam gegen AntifaschistInnen
Der bayerische Innenminister hat gefordert, auch andere Länder müßten die bayerische Präven tivhaft übernehmen. In Bremen lehnt man „Vorbeugehaft“ strikt ab: Allein die Gesinnung und der allgemeine Verdacht, daß jemand etwas tun könnte, kann nicht hinreichende Begründung dafür sein, jemanden hinter Gitter zu stecken. Auch keine Neonazis.
Aber während der bayerische Innenminister gegen Neonazis präventiv vorgehen wollte, wurden in Bremen GegendemonstrantInnen, AntifaschistInnen hinter Gitter gesteckt. „Polizeigewahrsam“ heißt das im bremischen Polizeirecht. Der Bremer Rechtsanwalt Reinhard Engel vertritt einen der Betroffenen.
taz: Was ist genau passiert?
Reinhard Engel, Anwalt: Am Abend vor der Demonstration hat Polizeipräsident Lüken in einem Fernsehinterview noch deutlich gemacht, daß Präventivhaft in Bremen nur unter sehr scharfen Bedingungen verhängt werden kann, um Straftaten zu verhindern. In diesem Interview ging es um mögliche Ausschreitungen durch Neonazis. Verhängt worden ist diese Präventivhaft am nächsten Morgen gegen Gegendemonstranten. Denen hat man keine Straftat vorgeworfen, sondern einfach die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung, eine einfache Ordnungswidrigkeit. In diesem Fall ist Präventivhaft meines Erachtens vollkommen unzulässig.
Man hat die Demonstranten am Ziegenmarkt gegen 11 Uhr unter massivem Polizeieinsatz vorläufig festgenommen, sie sind teilweise erst um 18.30 Uhr entlassen worden.
Um wieviele Personen ging es da?
Insgesamt 23 Personen. Ich habe einen der Festgenommen vertreten. Die Polizei hat mir gegen 13 Uhr angekündigt, daß man die Demonstranten dem Richter vorführen würde, um sie noch länger in Polizeigewahrsam halten zu können. Der Richter wartete auf die Vorführung. Ich habe mit meinem Mandanten diese Vorführung vorbereitet und der Polizeiführung gegenüber erklärt, daß ich gute Chancen sehe, vor Gericht die Aufhebung der Haft zu erreichen. Daraufhin hat man mir dann doch die sofortige Freilassung meines Mandanten angekündigt; zum Gerichtstermin ist es deshalb nicht gekommen. Die Freilassung ist aber nicht sofort erfolgt, sondern erst nach 17 Uhr. Man hat mich, kurz gesagt, an der Nase herumgeführt.
Ich will noch einmal auf die verbotene Demonstration zurücckommen. Wenn 30 Leute auf dem Bürgersteig stehen und einer nimmt ein Megaphon, um etwas gegen Neonazis zu sagen - warum darf die Polizei das mit Gewalt auflösen?
Muß sie nicht. Es handelt sich um eine Ordnungswidrigkeit,da gilt der Opportunitätsgrundsatz. Die Polizei kann vor Ort selbst entscheiden. die Polizei ist deshalb zunächst nicht eingeschritten...
..erst als das Megaphon benutzt wurde.
Das mildeste Mittel wäre es dann gewesen, das Megaphon zu beschlagnahmen und anzukündigen, daß die Versammlung weiter bestehen bleiben kann. Das hat die Einsatzleitung nicht gemacht, man hat gleich zum schärfsten Mittel gegriffen, Auflösung der gesamten Versammlung.
Und Inhaftierung.
.. und Präventivgewahrsam.
Wie ist das rechtlich zu bewerten?
Schon die Auflösung war unzulässig. Wie der Verfassungsschutz öffentlich mitgeteilt hat, gab es keine Gefährdungslage zu dem Zeitpunkt - das muß dem polizeilichen Einsatzleiter bekannt gewesen sein. Das gilt im Übrigen auch für den Tag zuvor. Damit war die Verbotsverfügung an sich schon rechtswidrig. Und das Mittel des Präventivgewahrsams ist auch unzulässig gewesen.
Die Strategie der Polizei war tagelang vorbereitet. Warum hat sie so zugeschlagen?
Präventivgewahrsam kennen wir bisher nur aus Bayern. Ich denke, die Vorfälle am Ziegenmarkt nach dem Pop-Konzert haben eine Rolle gespielt und die Angst der Polizei vor möglichen Ausschreitungen am Tag der deutschen Einheit, dem 3. Oktober. Ich habe den Eindruck, daß die Polizeiführung den Präventivgewahrsam im Hinblick auf erwartete gewalttätige Demonstranten schon einmal ausprobieren wollte.
Man hat hier aber mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Bei der Polizei gibt es ein Feindbild der gewaltbereiten Autonomen, die Bremer Polizeiführung kann leider nicht genügend differenzieren, mit wem sie es zu tun hat. Das war am 13.8. eine friedliche Demonstration. Ich persönlich bin am Samstag Vormittag auch zum Ziegenmarkt gegangen, nach dem Einkauf etwas verspätet, und wollte vor Ort entscheiden, ob ich an einer Kundgebung gegen den Nazi-Aufmarsch teilnehme.
Trotz Verbot?
Die Verbotsverfügung vom Abend vorher war hinfällig, die Lage hatte sich geändert. Es war offensichtlich, daß es keine Neonazi-Demonstration geben würde. In dieser Lage darf sich eine Demonstration spontan bilden, da kann sich die Einsatzleitung nicht auf eine 24 Stunden alte Verbotsverfügung beziehen, die unter anderen Voraussetzungen ergangen ist. Sie hätte die Sachlage neu prüfen müssen, das ist seit dem Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eindeutige Rechtslage. Eine Prüfung vor Ort hätte ergeben müssen: Diese spontane Versammlung ist zulässig. Und demokratisch geboten.
Kann man sich gegen verhängte Präventivhaft wehren?
Für zwei Demonstranten werden wir dagegen Klage einreichen. Das Verwaltungsgericht soll feststellen, daß diese Präventivhaft unzulässig war, damit ähnliche Vorfälle in Bremen zukünftig ausgeschlossen sind. Fragen: KW / Foto: Wolff
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