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Archiv-Artikel

Sie wollen ihn trinken sehen

LÄRMSCHUTZ Es war noch hell am Montagabend, so früh traten The Pogues in der gut gefüllten Zitadelle Spandau auf

MacGowan ist immer noch beeindruckend, obwohl seine Stimme total zerschossen ist

VON JÖRG SUNDERMEIER

1991 habe ich die Pogues live gesehen, auf ihrer letzten Tour mit Shane MacGowan. Es war in einer ansonsten nicht für Konzerte bekannten Markthalle. Die Weltstars des irischen Folkpunks spielten dort, weil in der Gegend um Gütersloh noch relativ viele britische Soldaten stationiert sind. Sie gaben ein wildes Konzert, die Angehörigen der Armee ihrer Majestät der Queen zeigten uns, wie Pogo wirklich geht. Die Halle bebte, und allen war es egal, dass MacGowan die meisten Texte vergessen hatte, kaum noch stehen konnte und auf der Bühne Whisky aus der Flasche trank. Man sah, dass die damals gerade mal neun Jahre alte Band keine Zukunft hatte. Es war trotzdem eine Riesenparty, denn wir waren jung und spaßsüchtig, die Briten waren es auch.

Im November desselben Jahres wurde MacGowan aus der Band geworfen, 1996 löste sich die Restband auf. Einzig MacGowan überlebte irgendwie als Star, obschon er gnadenlos weitersoff. Er veröffentlichte mit seiner neuen Band The Popes einige Alben und sang als Gast auf Alben befreundeter Bands das eine oder andere Lied. Die Pogues spielten dann doch noch hier und da nach der Jahrtausendwende, und seit 2005 spielen sie wieder mit MacGowan zusammen. Neue CDs allerdings sind nicht zu erwarten. Nun spielte die Band mit MacGowan erstmals wieder in Deutschland. Im Rahmen ihrer Tour besuchten sie am Dienstag auch Berlin, um in der Spandauer Zitadelle ein Open-Air-Konzert zu geben. Obwohl es ein sehr regnerischer Tag war, war die Zitadelle gut gefüllt. Guinness-T-Shirts, Kleeblätter und ein paar Punkreminiszenzen dominierten das Bild. Die T-Shirt-Verkäufer machten schon auf dem Gehsteig vor der Zitadelle ein gutes Geschäft, die Billig-Alkohol-Verkäufer dagegen nicht. Beides verwundert nicht, denn das Publikum war eher älter und nicht unbedingt arm. An den Bratwurstständen war die Hölle los.

Ich hatte vor drei Tagen die Mail von einem alten Freund bekommen, der 1991 beim Pogues-Konzert dabei war, er ist nun gesetzter Familienvater. Er sieht ziemlich alt aus, dachte ich, als ich sein aktuelles Foto ergooglet hatte. Dann fiel mir auf, dass ich selbst alt aussehe, was in der Zitadelle nicht auffiel, dort war ich mit 40 Jahren einer der Jüngeren, und einige, die noch jünger waren, hatten ihre frischen Gesichtszüge bereits bei Guinness oder auch nur bei Schultheiß verloren.

Es war noch hell, als die Band die Bühne betrat, sie kam früh, denn es gibt Lärmschutzgesetze. Die Menge aber pfiff schon ab halb acht, morgen muss man schließlich wieder auf die Arbeit und um 22 Uhr will man in der Stammkneipe noch einen Absacker trinken. Vielleicht bin ich ungerecht, aber es war auffällig, wie sehr dem Alkohol gehuldigt wurde – immer wenn MacGowan einen Schluck aus seinem Glas nahm, so reckten sich ihm begeistert dutzende Bierbecher aus der Menge entgegen.

MacGowan ist mehr als nur alt geworden, er trägt noch immer sein beschädigtes Gebiss vor sich her, kann nun jedoch, wenn er den Rauch seiner Zigarette einzieht, inzwischen mit der Innenseite der rechten Wange die Innenseite der linken Wange berühren, ohne dafür den Kiefer öffnen zu müssen. Sein Kopf wackelte auf dem in die Breite gegangenen Körper hin und her, und nur wenige seiner Ansagen waren verständlich. Sein Lachen klang wie eine Kombination aus Schnarchen und Schleimhochziehen – und dennoch war er es, den alle wollten. Verließ er für wenige Stücke die Bühne, so begrüßte man ihn bei seiner Rückkehr umso begeisterter. Immer mit einem neuen Glas in der Hand, von dem sich viele erhofften, dass es Alkohol beinhaltete. Den MacGowan aber vielleicht gar nicht mehr braucht.

Jedenfalls spielte sich die Band nach anfänglichen Spielfehlern mit Bravour durchs Repertoire und drehte in den beiden Zugaben noch einmal zusätzlich auf. MacGowan ist als Sänger noch immer beindruckend, obwohl seine Stimme total zerschossen ist. Es flossen die „Streams of Whisky“, die „Dirty Old Town“ wurde besungen, und die „Boys From The County Hell“ liehen sich noch immer 10 Pfund und tranken, bis Mutter sie weckte. Und um einen herum hüpften einige Begeisterte, viele Pärchen knutschten, und das bisschen Regen, das der Himmel noch schickte, störte nicht. Dann war es vorbei, und schön war’s gewesen. Oder wie Shane MacGowan es bei einer Kostprobe seines schmalen deutschen Wortschatzes so treffend sagte: „Dankeschön. Bitteschön.“