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„Sie sind zu Wechselgeld geworden“

■ Seit über einem Monat halten bosnische Serben elf Franzosen in Geiselhaft / Den Mitarbeitern einer Hilfsorganisation wird Waffenschmuggel vorgeworfen

Paris (taz) – Sie leben in einem Raum mit offenem Fenster, von dem aus sie das Landen und Starten der UN-Flugzeuge hören können, die Nahrungsmittel nach Sarajevo transportieren. Doch die nicht einmal 1.000 Meter entfernten französischen Blauhelme sind unerreichbar für die Frau und die zehn Männer im Gefängnis von Kula, einem Vorort von Sarajevo. Die MitarbeiterInnen der französischen Hilfsorganisation Première urgence (Erste Dringlichkeit) sind seit dem 8. April Gefangene der bosnischen Serben – angeblich weil sie Waffen für die muslimischen Bosnier transportiert haben.

Immerhin deutete Serbenführer Radovan Karadžić dieser Tage erstmals an, daß die Franzosen freigelassen werden könnten. Der europäische Unterhändler für Bosnien, David Owen, hatte bereits am Donnerstag versprochen, die „bedingungslose“ Freilassung sei nur noch „eine Frage von Tagen“. Doch falls die bosnischen Serben nachgeben, dann nur, weil sie sich im Gegenzug französische Unterstützung bei den Genfer Friedensgesprächen versprechen. Ursprünglich wollte Karadžić den Franzosen nämlich den Prozeß vor einem serbischen Militärgericht machen. Ihr Rechtsanwalt, der Belgier Georges-Henri Beauthier von der Internationalen Liga für Menschenrechte, sagte den Gefangenen nach Gesprächen mit ihrem serbischen Anwalt: „Sie sind zu Wechselgeld geworden.“ Für Beauthier ist offensichtlich, daß der Prozeß Frankreich zwingen soll, den einseitig ausgerufenen serbischen Staat in Bosnien faktisch anzuerkennen. Falls die Beschuldigten dem psychischen Druck nachgeben und den gegen sie erhobenen Vorwurf bestätigen, könnten die Serben zudem alle Hilfsorganisationen mit anprangern, denen sie einseitige Unterstützung der Bosnier vorwerfen. Première urgence war erst vor zwei Jahren gegründet worden, um Lebensmittel ins belagerte Sarajevo zu bringen. Die Organisation verfügt jedoch bereits über ein Jahresbudget von über 13 Millionen Mark. Im Unterstützungskomitee sitzen so prominente Politiker wie Ex-Premier Laurent Fabius und Handelsminister Alain Madelin. Première urgence war in der Vergangenheit von anderen Hilfsorganisationen amateurhaftes Vorgehen und übermäßiges Engagement für die Bosnier vorgeworfen worden. Zudem hatte sich der Verein bisher geweigert, die Serben für das Passierrecht durch ihr Territorium zu bezahlen.

Der Vorwurf des Waffentransportes scheint manipuliert zu sein. Denn die sieben Lastwagen, mit denen die elf Geiseln am 8. April versucht hatten, Lebensmittel nach Sarajevo zu transportieren, waren bereits auf bosnischem Gebiet zweimal von Blauhelmen durchsucht worden, bevor sie am serbischen Kontrollpunkt aufgehalten wurden. Von dort aus waren die LKWs in den serbisch kontrollierten Vorort Ilidza dirigiert worden, wo die Fahrer festgenommen und im „Hotel Serbien“ einquartiert wurden. In der folgenden Nacht hatten die Serben die Lastwagen geöffnet, und am nächsten Morgen mußten die elf Franzosen zuschauen, wie Milizionäre vor laufender Kamera fünf Munitionskästen aus den Lastern holten.

Auf Waffenschmuggel stehen im serbisch besetzten Teil Bosniens 15 Jahre Haft, die aufgrund des Kriegszustandes auch zur Todesstrafe verwandelt werden können. Die Rechtsanwälte der elf warfen dem französischen Botschafter in Bosnien unterdessen mangelnden Einsatz für die Geiseln vor. Europa-Minister Alain Lamassoure erklärte, falls die Serben „die Parodie eines Prozesses“ weiterspielten, werde Frankreich dies als „ein Kriegsverbrechen“ betrachten. Zudem beschuldigte er die jugoslawische Regierung in Belgrad der Komplizenschaft. Bettina Kaps

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