Sicherungsverwahrung: Neue Regeln fürs Wegschließen
Gegen fortdauernd gefährliche Straftäter soll häufiger Sicherungsverwahrung vorbehalten werden. Auch Ersttäter können künftig dauerhaft weggeschlossen werden.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) plant eine weitgehende Umgestaltung der Sicherungsverwahrung. Ihr Konzept sieht überwiegend Verschärfungen vor, aber auch einige Liberalisierungen. So soll die Sicherungsverwahrung künftig schon gegen Ersttäter verhängt werden können. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wird dagegen langfristig abgeschafft. Die CDU/CSU hat noch weitergehendere Pläne.
Sicherungsverwahrung, das ist die vorsorgliche Haft nach der Strafhaft. Hier wird ein Straftäter auch nach Verbüßung seiner Strafe nicht entlassen, sondern muss aus Sicherheitsgründen weiter im Gefängnis bleiben - solange bis er nicht mehr als gefährlich gilt. Zwar sind derzeit in Deutschland nur rund 500 Menschen davon betroffen (im Vergleich zu über 60 000 Strafgefangenen). Die Zahl der Sicherungsverwahrten hat sich in den letzten Jahren aber verdoppelt und wird vermutlich weiter ansteigen.
Die Reform der Sicherungsverwahrung ist das zentrale rechtspolitische Projekt dieser Wahlperiode. Die Union hatte darauf gedrängt, "Schutzlücken" zu schließen.
Leutheusser-Schnarrenberger will, dass künftig die "vorbehaltene Sicherungsverwahrung" häufiger angewandt wird. Dabei wird die Verwahrung noch nicht mit dem Strafurteil angeordnet, sondern nur vorbehalten. So können auch Fälle erfasst werden, bei denen zunächst noch nicht klar ist, wie sich die Gefährlichkeit des Täters später entwickelt, ob er zum Beispiel in der Haft erfolgreich an Therapien teilnimmt.
Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung war schon unter Rot-Grün eingeführt worden. Sie kam bisher aber nur selten zur Anwendung. Leutheusser-Schnarrenberger will deshalb die Anwendung erleichtern. Künftig muss im Strafurteil nicht mehr festgestellt werden, dass der Täter einen Hang zu schweren Straftaten hat. Außerdem soll künftig erst kurz vor Haftende entschieden werden, ob von dem Vorbehalt Gebrauch gemacht wird, bisher musste dies schon mitten in der Haftzeit geklärt werden.
Vor allem aber soll die vorbehaltene Sicherungsverwahrung auch bei Erstätern angewandt werden können. Bisher war sowohl die normale wie auch die vorbehaltene Verwahrung auf Rückfalltäter beschränkt. Sollte die Reform verwirklicht werden, würde sie vermutlich zu einer Vervielfachung der Verwahrungs-Fälle führen.
Im Gegenzug will die Justizministerin die Sicherungsverwahrung auf Fälle schwerer Gewalt- und Sexualdelikte beschränken. Notorische Diebe und Betrüger sollen nicht mehr in der Sicherungsverwahrung landen. Ihr Anteil war allerdings schon in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken. Heute sind die meisten Verwahrten bereits Sexual- und Gewalttäter.
Änderungen wird es auch bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung geben. Bisher konnte auch ohne Vorbehalt gegen jeden Täter bis kurz vor der Haftentlassung noch eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Diese durfte aber nur auf neue Erkenntnisse aus dem Haftalltag gestützt werden. Wenn die Gefährlichkeit eigentlich schon beim Strafurteil erkennbar war, ist derzeit die nachträgliche Sicherungsverwahrung ausgeschlossen. Das führte dazu, dass entsprechende Anträge von den Gerichten überwiegend abgelehnt wurden.
Für neue Fälle, so die Ministerin, soll die nachträgliche Sicherungsverwahrung jetzt abgeschafft werden, Sie soll aber für alle Straftäter, die bereits heute in Haft sitzen, weiter möglich bleiben. Das dürfte ein Zugeständnis an die CDU/CSU sein. Allerdings wird der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vermutlich schon bald die nachträgliche Sicherungsverwahrung beanstanden, weil zwischen Strafurteil und Verwahrung kein direkter Bezug mehr besteht. Das hat das Straßburger Gericht in einem Urteil vom letzten Dezember bereits angedeutet.
Leutheusser-Schnarrenberger reagierte mit der überraschenden Ankündigung ihrer Pläne am Mittwoch offensichtlich auf ein Papier der Unions-Rechtspolitiker, über das am Mittwoch die WELT berichtete. Die Unionspolitiker wollen die nachträgliche Sicherungsverwahrung beibehalten, ausweiten und eindeutig präventiv ausgestalten. Außerdem soll geprüft werden, ob die vorbehaltene Verwahrung bei bestimmten Sexualdelikten zum Regelfall wird.
Die Unions-Politiker haben sich auch Gedanken über die Folgen des EGMR-Urteils vom Dezember gemacht. Weil der Straßburger Gerichtshof die Sicherungsverwahrung als Strafe (statt als Prävention) einstufte, gilt hier das Rückwirkungsverbot für Strafgesetze. Verwahrte, die vor 1998 verurteilt wurden und noch als gefährlich gelten, müssen deshalb bald aus der Haft entlassen werden. Die Union schlägt vor, sie dann mit elektronischem Hausarrest zu überwachen. Auch sollen "Betretungs- und Kontrollrechte" für die Wohnung der Betroffenen eingeführt werden.
Bisher verweigern allerdings die meisten Gerichte eine sofortige Entlassung (taz vom 22. 5. 2010). Das Straßburger Urteil gelte nur für den Kläger, nicht für die mindestens 70 Parallelfälle. An diesem Mittwoch bekräftige das Oberlandesgericht Koblenz diese Linie, Urteile des EGMR hätten keine Gesetzeskraft. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ging in ihrem Papier auf die Frage der zur Entlassung anstehenden Altfälle gar nicht ein.
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