Sicherheitsprogramm für deutsche AKWs: Alle Meiler fliegen durch
Das Umweltministerium hat ein Sicherheitsprogramm für die deutschen AKWs erstellt. Wenn man danach geht, erfüllt kein einziges die Kriterien.
Es war Tag 2 nach der Katastrophe in Japan, Sonntag, als an die Experten für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium dieser Auftrag der Leitung rausging: Stellt ein Sicherheitsprogramm für Atomkraftwerke auf! Knallhart solle es sein. Sie tippten bis in die Nacht. "Erste Überlegungen zu den Konsequenzen aus Fukushima" steht über dem fertigen, sechsseitigen Katalog, der am Freitag bekannt wurde. Er wurde dem ARD-Politmagazin "Kontraste" zugespielt.
Das Papier gibt vor, wie in den nächsten drei Monaten die 17 Reaktoren in Deutschland überprüft werden sollen, genauer: wie es mit ihnen weitergeht. Zurzeit erfüllt keiner die Kriterien, das kann ihr Aus bedeuten. Rainer Baake leitet die Deutsche Umwelthilfe. Er sagt, seit Schwarz-Gelb regiert, sei es "das erste Mal", dass "Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit gehen soll". Die älteren Meiler erfüllten die Auflagen nicht, die jüngeren müssten "massiv nachgerüstet", in ihre Modernisierung also Milliarden investiert werden. Das rentiert sich kaum.
Zum Beispiel Punkt I.1.: "Erdbebenauslegung und Bodendynamik". Das Erdbebenrisiko soll "kurzfristig neu berechnet" werden. Für das von EnBW betriebene AKW Neckarwestheim 2, das 1989 ans Netz ging und damit das jüngste hierzulande ist, wird das sicher zum Problem. Der Rheingraben, die Gegend von Neckarwestheim, ist Deutschlands aktivstes Erdbebengebiet.
Punkt I.2. macht es den AKW-Betreibern ebenso schwer: "Hochwasserauslegung". "Unter Berücksichtigung des Klimawandels" soll das Risiko von Flutwellen etwa an der Küste betrachtet werden. Das wird für Eon und Vattenfall eine Hürde, die das AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein betreiben. Die dortigen Pannenreaktoren Brunsbüttel und Krümmel will CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ohnehin dauerhaft stilllegen. Nun müsste Brokdorf aufwendig vor Wassermassen geschützt werden. Der Betrieb wird teurer.
Die Meiler sollen gegen "weitere externe Ereignisse" abgesichert werden, etwa gegen Terrorangriffe. Die "Autarkie der Notstromversorgung", so heißt es, "ist für 72 Stunden sicherzustellen". "Sämtliche Notstromdiesel sind zu verbunkern." Die Experten listen Maßnahme um Maßnahme auf, um die Not- und Nachkühlsysteme zu stärken, um die Abklingbecken zu schützen, um die Verkettung von Unfällen zu kalkulieren.
Wer den Katalog ernst nimmt, muss umbauen. Die Betreiber äußerten sich dazu am Freitag nicht. Bisher gestand ihnen die Politik viele Freiheiten zu. Als Schwarz-Gelb im Herbst letzten Jahres die Laufzeitverlängerungen beschloss, kündigte der zuständige Minister Norbert Röttgen zwar milliardenschwere Sicherheitsauflagen an - "es gibt keine Abstriche" -, er entwickelte aber nur eine vage "Nachrüstliste" und setzte auch keine Fristen. Das will er nun ändern.
Bleibt ein Problem: Die Regierung hat die Reaktorsicherheitskommission mit dem Sicherheitscheck der deutschen Atommeiler beauftragt. Darin sitzen vor allem Atomenergiebefürworter, etwa Entsandte von Eon. Was sie vom Röttgen-Katalog übernehmen, ist unklar. Die Kommission schreibt derzeit ihr eigenes Programm.
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