Sicherheitscheck bis Mitte Mai: Schlechte Karten für alte AKWs
Umweltminister Röttgen präsentiert neue, schärfere Kriterien für die Sicherheitsüberprüfung. Einen Airbus-Absturz würde wohl kein AKW überstehen.
BERLIN taz | Bis Mitte Juni will Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) einen neuen gesellschaftlichen Atomkonsens herstellen. Diesen solle der Bundestag als Novelle des Atomgesetzes beschließen und damit die Frage beantworten: Welche deutschen Atomkraftwerke dürfen nach der Katastrophe von Fukushima noch wie lange weiterlaufen?
Die Basis dafür soll die neue Sicherheitsüberprüfung der Anlagen liefern, deren Grundzüge Röttgen am Donnerstag vorstellte. Bis zum 15. Mai werden Experten alle 17 deutschen Atomkraftwerke anhand neuer Kriterien untersuchen, die die Reaktorsicherheitskommission ausgearbeitet hat. Das Ergebnis werde veröffentlicht, stellte Röttgen klar. Danach habe man einen Monat Zeit für die politische Entscheidung.
Ein wesentliches Thema des Sicherheitschecks wird sein, ob die AKWs Terrorangriffe mit großen Passagierflugzeugen so überstehen, dass es nicht zu einer weitreichenden Verseuchung durch Radioaktivität kommt. Bisher ist das nicht gewährleistet. Besonders die älteren Anlagen würden Flugzeugabstürzen kaum standhalten.
Was ist bisher zur Flugsicherheit der deutschen AKWs bekannt? Relativ viel. Nach den Attentaten vom 11. September 2001 hat der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin ein Gutachten bei der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Auftrag gegeben. Dieses wurde im Jahr 2003 den Landesministerien übergeben.
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Ein Jahr danach, am 23. Februar 2004, berichtete die taz unter dem Titel "Der Königsweg zum Atomausstieg": Das Bundesamt für Strahlenschutz hat den AKW-Betreibern wegen der Gefahren bei Terrorangriffen mit Flugzeugen die Stilllegung von fünf älteren Reaktoren vorgeschlagen.
Genannt wurden Biblis A, Brunsbüttel, Isar 1, Obrigheim und Philippsburg 1, bei denen der Einschlag eines Passagierflugzeugs zur Katastrophe führen kann. Und weiter: Obrigheim und Biblis A sollen nach der Studie immerhin den Aufschlag eines langsamer fliegenden, kleinen Passagierflugzeugs überstehen. Bei Brunsbüttel, Isar 1 und Philippsburg 1 kann selbst durch diese Maschinen eine Katastrophe ausgelöst werden.
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Man habe die zuständigen Länder gebeten, "anlagenspezifische Untersuchungen" der AKWs zu erstellen. "Diesen Verpflichtungen sind sie noch nicht nachgekommen", kritisierte das Umweltministerium 2004. Nach der GRS-Studie führe der gezielte Aufprall eines entsprechenden Flugzeugs zu weitgehender Zerstörung des Reaktorgebäudes und schneller Freisetzung von Radioaktivität.
In den kommenden Wochen will die Kommission deshalb neue Kriterien anwenden, um die Risiken zu bewerten. "Wir werden die gängigen Flugzeugtypen betrachten", sagte Rudolf Wieland, Chef der Reaktorsicherheitskommission. Nehmen die Wissenschaftler diese Ankündigung ernst, müssten sie prüfen, ob die Atomkraftwerke auch gezielte Attacken mit einem vollbetankten Airbus A 380 überstehen würden.
Nach Einschätzung des Öko-Instituts ist das fraglich. Wissenschaftlerin und Ingenieurin Simone Mohr sagte gegenüber der taz: "Vermutlich überstünde keines der deutschen Atomkraftwerke einen gezielten Terrorangriff mit einem A 380." Außerdem könnte die Nachrüstung so teuer werden, dass es sich für die Energieunternehmen nicht mehr lohnte, ihre Kraftwerke weiter Strom produzieren zu lassen. Bereits 2004 hatte das Bundesamt für Strahlenschutz den Firmen empfohlen, die Kraftwerke Biblis A, Brunsbüttel, Isar 1, Obrigheim und Philippsburg 1 abzuschalten, weil sie keinen ausreichenden Schutz gegen Flugzeuge aufwiesen.
Als Folge von Fukushima wird die Reaktorkommission auch untersuchen, ob die AKWs gegen stärkere Erdbeben als bisher unterstellt gewappnet sind. Wäre das nicht der Fall, müssten sie eventuell auch dafür nachgerüstet werden. Zudem wollen die Wissenschaftler überprüfen, wie die Kraftwerke auf größere Hochwasser der Flüsse und stärkere Flutwellen an den Küsten reagieren.
72 statt 2 Stunden Notstromversorgung
Ein heikles und für die Betreiber teures Thema ist auch dieses: Müssen sie die Notstromversorgung der Reaktoren so verbessern, dass diese bis zu 72 Stunden mit Batteriestrom gekühlt werden können? Heute reicht der Nachweis, dass die Batterien 2 Stunden halten, sagte Röttgen. In Fukushima hatte der Tsunami die Notstromaggregate zerstört. Kurz darauf fielen auch die Batterien aus.
Röttgen und Wieland argumentierten, dass die neuen Kriterien viel schärfer seien als die alten. Nach der Fukushima-Erfahrung unterstelle man einerseits größere Naturkatastrophen. Zusätzlich würden die Folgen untersucht, falls mehrere Naturereignisse, Unglücke und Pannen zusammenträfen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, bis 2005 selbst Umweltminister, kritisierte dagegen: "Der Kommission wurden keine Maßstäbe für die Überprüfung der Sicherheit mitgegeben, sondern lediglich unverbindlich und schwammig Themen aufgelistet."
In den kommenden sechs Wochen sollen "80 bis 100" Wissenschaftler in sieben Fachteams die Atomkraftwerke durchforsten. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit leitet die Untersuchung und zieht andere Einrichtungen wie den TÜV oder das Öko-Institut hinzu. Die meiste Arbeit findet an den Schreibtischen beim Studium von Unterlagen statt. Falls notwendig, sollen die Prüfer den AKWs aber auch Besuche abstatten.
Was bei der Untersuchung herauskommt, ist offen. Röttgen rechnete gestern mit einem "differenzierten Ergebnis". Dieses dürfte von der Härte der Kriterien abhängen, die die Wissenschaftler tatsächlich anwenden. Die sieben ältesten Atomkraftwerke, die gegenwärtig abgeschaltet sind, haben schlechtere Karten als die neueren. Fraglich bleibt auch, ob die Strommengen der dann ausgemusterten Kraftwerke auf die übrig bleibenden übertragen werden dürfen.
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