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■ Ein schweres Erdbeben wurde in Japan seit langem erwartet, aber eher für die Region Tokio. Nun traf es Kobe und zerstörte angeblich erdbebensichere Bauten en masse. Wir berichten aus Tokio und fragen nach...Sicher war nur das Erdbeben

Ein schweres Erdbeben wurde in Japan seit langem erwartet, aber eher für die Region Tokio. Nun traf es Kobe und zerstörte angeblich erdbebensichere Bauten en masse. Wir berichten aus Tokio und fragen nach neuen und alten Prognosemethoden

Sicher war nur das Erdbeben

Unkontrollierte Feuersbrünste jagten gestern abend durch Japans einst hübsche Hafenstadt Kobe, während die Opferbilanz des Erdbebens auf über 1.450 Tote und 800 Vermißte stieg. Seit Jahrzehnten hat diese dichtbesiedelte Region kein so starkes Erdbeben mehr erlebt: 7,2 Punkte auf der nach oben offenen Richterskala, sechs Punkte auf dem bis sieben reichenden japanischen Gegenstück. Große Teile des Zentrums der 1,6 Millionen Einwohner zählenden Stadt sahen aus wie nach einem Bombenangriff.

Hilflose, von Gaslecks und geborstenen Wasserleitungen behinderte Feuerwehrleute und Rettungsteams versuchten sich an der Eindämmung der Brände und forschten nach verschütteten Überlebenden.

Die angeblich erdbebensicheren Hochstraßen lagen umgestürzt auf der Seite. Eisenbahnschienen hingen hoch in der Luft. Zerknittert wie alte Spielkarten erschienen Wohnhäuser und ein Hotel. In Schlafanzügen gekleidete Anwohner bildeten Eimerketten, um gegen das Feuer zu kämpfe. Über der ganzen Szene wuchsen dichte schwarze Rauchwolken um flackernde gelbe Flammen. „Es kam mir vor, als würde ich in den Höllenschlund geworfen“, sagte ein Überlebender außerhalb Kobes. „Es war so groß. Das Schütteln war so schrecklich.“

Das Epizentrum des Bebens lag 30 Kilometer vor der Küste von Kobe, 20 Kilometer unter der Erde. Sein Beginn: 5 Uhr 46, kurz nach dem Fahrplanauftakt des öffentlichen Nahverkehrs. Kobe war am schlimmsten getroffen, aber die Wirkung des Bebens war über einen Kreis von 100 Kilometern Durchmesser zu spüren. Darin liegt Osaka, Japans zweitgrößte Stadt, und auch die historischen Hauptstädte Kyoto und Nara, wo unschätzbare Buddha-Statuen zu Boden fielen.

Als das Beben die Kräne des Hafens von Kobe außer Betrieb setzte, war der zweitgrößte Containerhafen Japans lahmgelegt. Bis zur Sicherheitsinspektion mußte Matsushita Electric Industrial, die größe Konsumgüterfirma der Welt – bekannt unter Markennamen wie „Panasonic“ – ihre Tore schließen, ebenso die Daihatsu-Autofabrik, die Ölraffinerien, die Kraftwerke und zahllose Elektrofirmen. Sogar die Börse von Osaka mußte am Vormittag dichtmachen, und als sie am Nachmittag wieder öffnete, konnten die meisten Händler sie nicht erreichen. Der Schaden, schätzt ein Ökonom, könnte 20 bis 30 Milliarden Dollar erreichen. Aber mittelfristig werden gigantische Neubauprogramme anlaufen und die Konjunktur ankurbeln.

Gestern abend drängten sich 60.000 Menschen in Kobes Notaufnahmezentren; andere warteten unter den Trümmern. Im Fernsehen war eine Frau in ihrem eingeschlossenen Wohnzimmer zu sehen, für Kameras erreichbar, aber nicht für Rettungsmannschaften. Andere konnten aus ihren zu Gefängnissen mutierten Häusern mit der Außenwelt reden, sich aber nicht bewegen, weil sonst die Wände einstürzen könnten. Telefonkabel und Stromleitungen ins Zentrum blieben abgeschnitten.

Und noch sind Nachbeben zu befürchten, von denen es gestern schon tagsüber über 600 gab – die meisten unter der Wahrnehmungsschwelle. Experten rechnen für die nächsten Wochen mit einem neuen großen Beben.

Viele Fragen bleiben offen. Die Stadt stand nicht auf der Regierungsliste zur seismischen Vorsorge; nur einige Universitätsprofessoren hatten gewarnt. Gravierender ist, daß angeblich erdbebensichere Gebäude und Straßen wie Kartenhäuser zusammenfielen. Die japanischen Ingenieure prahlten, ihre Konstruktionen könnten einem Erdbeben von acht oder mehr Punkten auf der Richterskala widerstehen – wie dem von 1923, das um Tokio 142.000 Menschen tötete. Als letztes Jahr Los Angeles bebte, versicherten Ingenieure aus Japan, so etwas könne bei ihnen nicht passieren.

War dies „das große Beben“, auf das die Japaner schon lange warten? Sollte Tokio mit seinen zwölf Millionen Einwohnern je ein Erdbeben erleben, würde das gestrige Beben klein erscheinen. Verglichen mit den 50- bis 60stöckigen Wolkenkratzern um die Hauptstadt sind Kobes Hochhäuser niedrig. „Wir müssen unsere Sicherheitsstandards überprüfen“, sagte der Tokioter Brückenbauprofessor Yozo Fujino beim Anblick der flachgelegten Brücken. „Ich kann es einfach nicht glauben“. Kevin Rafferty, Tokio

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