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Archiv-Artikel

Sich umreißen hören

Die Kiss des Raps. Vielleicht sogar die Motörhead. Ganz sicher aber ist, dass diese Jungs sich zu Eins Zwo verhalten wie die Sex Pistols zu Pink Floyd: „Wir rocken wie gesagt nonstop / deswegen lebt HipHop“ Ein Porträt der Berliner HipHop-Band Dissput

von AXEL WERNER

Man stelle sich vor, nach langer Zeit mal wieder zu einem HipHop-Konzert zu gehen. Die große Deutschrap-Welle ist zwar unlängst recht sanft ans Ufer geplätschert, und auch Verluste hat es gegeben, aber HipHop ist wie Skat: Es gibt feste Regeln. Man weiß, was einen erwartet. Skill-Paraden, Battle-Ansagen, Scratch-Eskapaden, Schema F. Dann aber betritt nach den üblichen Baggy-Pants-Uniformen ein Trio die Bühne. Es handelt sich um einen DJ und zwei MCs, die mit freiem Oberkörper, Sturmhaube und Ledermaske (?!!) auftreten. Synthie-Beats, die flashen wie ein elektrischer Stuhl! Ein Style, den keine normale Lunge länger als fünf Minuten durchhalten kann! Zeilen wie: „Sieger: ich – du: nicht“! Und eine Show, die auf unglaublichem Lautstärkeniveau unglaublich rockt. Das also ist Dissput, die hardest working Rap-Group in Showbusiness aus Berlin.

Im Kontext des deutschen HipHops über Dissput zu sprechen, ist erst einmal ein taxonomisches Problem. Wirklich Neues kann man eben nicht begreifen, sondern nur Varianten von schon Bekanntem. Oder, wie Dissputs DJ und Mastermind SuperTan es ausdrückt: „Natürlich brauchen die Leute Schubladen, aber das ist nicht unser Problem. Wenigstens ich kenne immer noch kein Buch, in dem steht, wie HipHop zu sein hat.“

Dissput sind wirklich nicht in gängige HipHop-Schubladen einzusortieren. Ihre Musik ist ohne Beispiel. Also müssen wir einen Vergleich bemühen, der ihnen natürlich auch nicht gerecht werden kann: Dissput sind die Kiss des Raps. Und die Motörhead des Rap. Aber mit Soul. Oder wie auch immer.

Zumindest hat jeder, der jemals etwas von Dissput gehört oder gesehen hat, eine Meinung zu ihnen. So mag mancher verfeinerte Fin-de-siècle-HipHopper sich genötigt fühlen, die bis auf Diamantenhärte verdichteten Lyrics stylemäßiger Primitivität zu zeihen, sollte aber mal lieber ins Fremdwörterbuch sehen. Während Primitivität den Status einer lange durchlaufenen Kulturstufe bezeichnet, sind Dissput die nächste. „Wir sind einfach nicht mehr auf dem Level, auf dem tausend Reime und der aktivste Wortschatz ausschlaggebend sind und unbedingt zur Schau getragen werden müssen. Uns geht es um den größtmöglichen Ausdruck unserer Welt, wie wir sie empfinden.“ Tatsächlich fassen zwei beliebige Worte eines Dissput-Tracks den Inhalt eines Dutzend herkömmlicher Raps zusammen. Diese Jungs verhalten sich zu Eins Zwo wie die Sex Pistols zu Pink Floyd: „Wir rocken wie gesagt nonstop / deswegen lebt HipHop“.

Um Missverständnissen vorzugreifen: Dies ist kein BattleRap. „Mach mich an / und ich lach dich aus.“ Mit wem soll man sich auch noch messen, wenn man vollkommen außer jeder Konkurrenz läuft? Der Disput von Dissput ist zunächst mal ein innerer, sozusagen das kathartische Gespräch der Seele mit sich selbst. Auch die hochwiedererkennungswertigen Outfits sind keinesfalls bloße Gimmicks, sondern einfach die konsequente optische Umsetzung der Akustik: Die bedingungslose Behauptung der eigenen Individualität gegen jede Uniformität oder Normativitätszwänge. Ein zentraler Dissput-Grundsatz ließe sich mit „Hör auf dich, sonst hört dich keiner“ umreißen. Und das nicht grundlos, denn auch wenn sie sich sonst weigern, über ihre Abstammung und nicht als Musiker wahrgenommen zu werden, räumen die in Schöneberg und Wilmersdorf aufgewachsenen Deutschtürken in Bezug auf ihre Produktionsweise ihren Hintergrund gern ein: „Unsere Eltern waren in dem Dilemma, sich in einem ganz anderen sozialen Kontext ansiedeln zu müssen, ohne ihre kulturellen Eigenheiten aufgeben zu wollen“, so Tan.

„Das haben sie, finde ich, auch geschafft, aber gleichzeitig wurden sie ständig daran erinnert, dass sie in Deutschland ja nur ‚Gäste‘ wären – was ich absurd finde, denn wenn überhaupt, dann sind wir alle nur Gäste auf diesem Planeten. Wenn man aber in einem solchen Klima dazu erzogen wird, sich immer bestens benehmen zu müssen, sich zurückzunehmen und leise zu sein, dann entwickelt sich irgendwann ein Bedürfnis nach lauterem Ausdruck. Wir verstehen unsere Musik auch als Trotzreaktion gegen die alltäglichen Beschränkungen, als Ventil.“ Dabei bezeichnet Disput ja eine verbale Auseinandersetzung, ein Angebot, aus dem alle mit Gewinn herausgehen können. Von körperlicher Gewalt hat dagegen keiner was. Wer in Dissput nun unbedingt eine Horde wütender HipHop-Hooligans sehen will, hat wirklich nichts verstanden. Um es leicht abgewandelt mit Lee Perry zu sagen: Wer es fühlen kann, weiß es, und wer es noch nie gefühlt hat, hat noch einiges nachzuholen.

Bisher von Dissput erschienen: „Streit!“ (rap.de records); Ende Februar erscheint eine neue EP mit acht Stücken