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Short Stories from AmericaIntelligenzvakuum

■ Notwendige Nachbemerkungen zur Oscar-Verleihung 93

Clint Eastwood hat eine Mutter. Die Oscar-Verleihung, die vermutlich außergewöhnlichste Sendung im amerikanischen Kalenderjahr, brachte es an den Tag: dieser Lederfetzen, der als Gesicht durchgeht, ist vom Weibe geboren. Die Enthüllung – die Großaufnahme einer kleinen alten Dame mit weißen Haaren – ließ mich in Sympathie erbeben und setzte Präsident Clintons Vorschläge zur Liberalisierung des amerikanischen Abtreibungsrechts ins richtige Licht. Clinton möchte das Verbot der Verwendung von Bundesmitteln zur Förderung von Abtreibungen in den USA und der ganzen Welt aufheben. Aber das ist unwichtig. Wichtig dagegen ist, daß Clints Herkunft enthüllt wurde vor einer Kulisse, die aussah wie die Vergrößerung einer Joan-Collins-Parfümflasche. Das Ereignis beschäftigte sämtliche Medien; ganze Zeitungsspalten wurden allein mit den modischen Besonderheiten des Abends gefüllt – verschwendete Druckerschwärze, zumal Billy Crystal das Thema mit einer kurzen Bemerkung erledigt hatte. Sein Smoking, sagte er, sei eine Kreuzung zwischen Armani und Jiminy Cricket. Liza Minelli erschien in einem Gebilde, das Engelbert Humperdinck schon 1973 weggeschmissen hatte, und Diane Keaton glitt in einem Amelia-Earhart-Outfit in den Saal – ein bißchen viel Gemäntel und Gemütze für geschlossene Räume in Südkalifornien. Jane Fonda kam als Barbarella in der Rolle von Ivana Trump oder umgekehrt; Eiko Ishioka, die für „Dracula“ den Preis für die besten Kostüme gewonnen hatte, schien diesem Film direkt entsprungen. Geena Davis stürmte so entschlossen auf das Podium, daß ein Freund mich fragte, ob sie wenigstens Schoner trüge. Ich schaute auf ihr Kleid: Ja, vor dem Busen.

Bei der Oscar-Verleihung kann man nur eines tun: eigene Preise verleihen. Als Gastgeber erhält Billy Crystal den Adlai Stevenson-Masochisten-Preis für den – inzwischen fünften – Versuch, ein Vakuum mit Intelligenz zu füllen. Er sagte zum Beispiel, Disney plane eine Neuverfilmung von „Howard's End“ als „Howard Beach“ (die Gegend in New York, wo vor einigen Jahren der berühmte Mord an einem Schwarzen durch eine Gruppe von Weißen stattfand). Und niemand lachte. Nachdem Marisa Tomei („My Cousin Yippie“) den Preis für die beste weibliche Nebenrolle gewonnen hatte, vor Miranda Richardson, Vanessa Redgrave, Joan Plowright und Judy Davis, sagte er, Tomei nenne sich jetzt Marisa Rodham Tomei. Und niemand lachte. Er stellte dem Publikum mehrere Leute vor, indem er auf sie deutete, und dann zeigte er in die leere Luft und nannte Salman Rushdie. Und niemand lachte. Wieder mal: Crystal in Form und das Publikum mit Schlafmitteln bedröhnt. Übrigens: der Preis für die schlechteste Dosierung ging an Lena Horne: für die beste dagegen an Elizabeth Taylor, deren Narkosearzt ein Genie sein muß.

Ganz ehrlich: was ernste Themen angeht, hat sich die Oscar- Verleihung gewaltig geändert. Zu Bette Davis' Zeiten wäre niemand auf die Bühne gekommen, um die Einsperrung von aidskranken Haitianern zur Sprache zu bringen (wie Tim Hobbins und Susan Sarandon) oder, wie es Richard Gere seit längerem tut, die Verfolgung der Mönche in Tibet. Alle, sogar die Studiobuchhalter, trugen das rote Band im Revers, das Aidskranken Unterstützung verheißt. Denzel Washington trug ein lila Band: wegen der Gewalt in den Städten. Morgan Freeman, in Konkurrenz zu Norman Schwarzkopff, trug Rot und Lila. Nur schade, daß sich niemand der Gewalt auf dem Lande oder der verlorenen Eier angenommen hatte.

Immerhin belegen diese und andere Ausflüge in die Politik, daß die Akademie vom McCarthyismus nichts mehr zu befürchten hat. Aline Woodard bekam den Preis für das beste Aussehen überhaupt; Elizabeth Taylor für das beste Aussehen über 60. Emma Thompson, die nach Jahren in Cambridge ein Subjekt und ein Verb in den gleichen Satz packen kann, sprach besser als alle anderen – vielleicht erhielt sie deshalb den Preis als beste Schauspielerin. Aber die wichtigste Frage des Abends blieb schließlich doch ohne Antwort: Was wird Jaye Davidson („The Crying Game“) tragen? Die New York Times widmete der Frage mehrere Absätze, aber Davidson gewann nicht, brauchte also nicht aufzustehen und behielt daher ihr Geheimnis für sich. Einige Beobachter teilten mit, die Mißachtung von Ms. Davidson sei mal wieder ein Beispiel für die Homophobie unserer Gesellschaft oder jedenfalls unserer Presse.

Am Tag der Oscar-Verleihung waren die Zeitungen voll mit den Kongreßanhörungen über Homosexuelle beim Militär. Die New York Times brachte auf der Meinungsspalte einen Beitrag gegen die Zulassung von Homosexuellen mit einem Zitat aus William Manchesters „Goodbye Darkness“, einem autobiographischen Bericht über Fronterlebnisse im Zweiten Weltkrieg: „Es war Liebe. Diese Männer an der Front waren meine Familie, meine Heimat. Sie waren mir näher, als ich sagen kann, näher als es meine Freunde gewesen waren oder jemals sein würden... Männer, das weiß ich jetzt, kämpfen nicht für die Fahne oder ihr Vaterland, für das Marinecorps oder den Ruhm oder irgendeine andere Abstraktion. Sie kämpfen füreinander.“ Das ist eine bewegende Stelle – wenn mir auch nicht ganz klar ist, was sie gegen Homosexuelle in der Armee zu sagen hat. Bevor ich das herausfinden konnte, erreichte mich ein Bericht über einen Schulausschuß in Meridian, Idaho, der eine studentische Menschenrechtsgruppe aufgefordert hatte, Worte wie „Toleranz“ und „kulturelle Vielfalt“ aus ihrer Satzung zu streichen. Der Ausschußvorsitzende sagte vor der Presse: „Wir baten sie, ihre Sprache zu säubern, damit man nicht an Homosexualität denken muß.“ Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

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