Short Stories from America: Lysistrata ist Dreck dagegen
■ Lorena entmannte ihren Peiniger und warf das Corpus delicti auf den Rasen einer Kindertagesstätte. Wem kann man diesmal daran die Schuld geben, und wer alles wird dadurch auf welche Weise geschädigt?
Gut sieht es aus für Sergeant Vito Caponte – so nenne ich den Polizisten im Asservatenraum von Manassas, Virginia. Er muß einen Namen haben wie Caponte oder O'Malley, denn wer ins Kino geht, weiß auch, daß alle Bullen in den USA Italiener oder Iren sind. In letzter Zeit gibt es auch schwarze Polizisten, aber viele sind es nicht, und in südlichen Gegenden wie Manassas sind sie noch seltener.
Vitos Arbeit ist Routine: Er schließt die Drogen und Revolver fort, die seine Kollegen mit ins Revier bringen, wenn sie Drogendealer verhaftet haben, die mit ihren milden Gaben im Verzug sind. Eingegangene Geschenke prüft er nach – genaugenommen wiegt er sie – und verteilt die Reichtümer unter seinesgleichen, ganz nach Jesu Gebot – oder war es Marx?
Neuerdings ist Caponte aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit fast zum Star aufgestiegen, seit sie auf der Autobahn John Wayne Bobbitts kostbarstes Gut aufgelesen haben. John Wayne, ehemaliger Macho-Marineinfanterist, hatte das große Glück, eine Frau mit poetischen Instinkten zu heiraten. Nachdem er sie ein paarmal vergewaltigt hatte, machte sie sich mit dem Küchenmesser über das Glied des Anstoßes her und rannte damit aus dem Haus. Lysistrata ist Dreck dagegen.
Ich hätte ja angenommen, daß sie sich an das amerikanische Sprichwort „Ein Spatz in der Hand ist so gut wie zwei im Gebüsch“ gehalten hätte. Aber Lorena schmiß den Familienstolz auf den Rasen der „Paty Kake“-Kindertagesstätte. Von dieser kleinen Feinheit wissen nicht viele, obwohl der Fall ausführlich durch die Presse gezogen wurde. Die Anträge der Reporter auf Prozeßzulassung erreichten Rekordhöhe, besonders aus dem Ausland. Wenn ich mich recht erinnere, sind aus Deutschland noch nie so viele Reporter zu einem amerikanischen Prozeß gekommen. Watergate ist Dreck dagegen.
Aber noch mal zu „Paty Kake“: Ich war heilfroh, daß der Polizeihund den Schnipsel fand, bevor kleine Gören auf der Suche nach Würmern oder verlorenen Ninja-Turtles darüber stolperten. Die arme Lorena hätte sich auch noch eine Klage wegen sexueller Belästigung eingehandelt, weil sie Minderjährige mit Geschlechtsteilen konfrontiert hätte. Oder jedenfalls mit Stückchen davon. In einigen Jahren wären die Kleinen dann mit Unterstützung einschlägiger Therapien zu dem Schluß gekommen, daß dieses traumatische Ereignis ihre Lernfähigkeit beeinträchtigte – was sie zu einem Leben in Arbeitslosigkeit und Selbstverachtung verurteilt hätte. Ein Haufen Schadensersatzprozesse gegen Lorena wären die Folge – niemandem würde auffallen, daß diese formbaren kleinen Würmchen ihre ersten Buchstaben in einer Institution gelernt hätten, die sich „Paty Kake“-Tagesstätte nannte. Dan Quayle ist Dreck dagegen.
Zum Glück, für die Kinder jedenfalls, hat der Polizeihund – angeblich ein Cockerspaniel – das Hütchen von John Waynes barköpfigem Reiter erschnüffelt. Und hier kommen nun die Talente von Sergeant Caponte zu ihrem Recht. Im Unterschied zu den Lehrern bei Paty Kake kennt er sein ABC, so daß er seine Beweisstücke in alphabetischer Reihenfolge ablegen kann. Seine neueste Beute legte er auf das Regal rechts, direkt hinter das Kokain, und mit Vergnügen erzählt er die Geschichte, wie er sie neben die anderen Beutelchen gelegt hat. Donnerstag abends geht er mit den Kumpels Wurstomelettes essen, und wenn die Eier aufgeschlagen werden, erzählt er ihnen mal wieder die Geschichte von John Waynes Pech.
Caponte ist nicht der einzige, der über dieses Stückchen amerikanisches Familienleben seine Witze macht. Vanity Fair konnte einfach nicht widerstehen: Reporterin Kim Masters ließ Lorena während ihres Interviews in einem Restaurant ein anderes Messer verlangen, weil das Fleisch zu zäh war. The Washingtonian, der sich die Behandlung des Falles in der Presse vornahm, gab seinem Artikel die Überschrift „Journalismus mit scharfer Schneide“. The Nation, ein intellektuelles Wochenblatt, stellte sich die Frage, ob John Wayne eine Trennungszulage verlangen könne, aber das liegt nur daran, daß Intellektuelle nicht nur „Patty Cake“, sondern auch Trennungszulage buchstabieren können.
Der Bobbitt-Fall hat auch ganz ernsthafte Themen aufgeworfen, die alle Amerikaner beschäftigen. Ich meine nicht die Zunahme der Gewalt, oder warum das Justizsystem seinen Opfern nicht zu helfen vermag, oder das Überhandnehmen von Mißhandlungen in Sexualbeziehungen. Mit solchen Fragen sollen sich Expertengruppen auseinandersetzen, wie Frauen, Männer und Familien. Mich interessiert die Frage, die die ganze Nation bedrängt: Hat Lorena im Fernsehen Beavis und Butt-head gesehen? Oder ließ sie sich von dem Disney-Film „The Program“ zu ihrer Tat anregen? Ich halte „The Program“ für den Sünder, denn erst neulich legten sich drei junge Männer nach dem Kino auf die Straße, um sich von Autos überfahren zu lassen. Und der Bezug zur Straße liegt ja auch auf der Hand: Lorena fuhr von ihrem Haus aus mit John Waynes kupiertem Anhängsel auf die Straße und schmiß es aus dem Wagenfenster – zweifellos glaubte sie, es würde auf der Straße landen. Mehr noch: „The Program“ handelt von amerikanischer Männlichkeit. Männlichkeit, Autostraße – braucht es noch mehr Beweise?
Glaubt man dem Karikaturisten Jules Feiffer, lassen sich andere Nachahmungsverbrechen mit gleicher Sicherheit nachweisen. Ihm sind ein paar Titelzeilen aus der Geschichte wieder eingefallen. Schreck im Roten Meer: Sechs Jugendliche ertranken, weil sie wie Moses den Nil überqueren wollten – soll bald aus der Bibel gestrichen werden. Tragödie unter Griechen: Spitzensportler schläft mit Mutter, erschlägt Vater, reißt sich nach Theaterbesuch die Augen aus dem Kopf – der entsetzte Autor soll das Drehbuch noch mal überarbeiten. Hamlet abgesetzt: Fechtszenen im Theater verantwortlich für fünfzehn Duell-Tote im Globe- Theater. Disney erklärt sich bankrott: Studio muß schließen, weil sich bei der Wiederaufführung von „Schneewittchen“ fünfhundert Leute mit Äpfeln vergifteten. Marcia Pally
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