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■ Sezessionsbewegung: Bossi erklärt Norditalien zu PadanienFolklore oder Spiel mit dem Feuer?

Auf den ersten Blick scheint das „Unabhängigkeitsfest“ der oberitalienischen Sezessionisten eher kindisch, verschroben und verbiestert. Wasser von der Quelle des Po wird nach Venedig geschippert und dort zur „Taufe“ der „Unabhängigen Republik der Poebene“ vergossen; die Getreuen leisten den Eid aufs neue Staatswesen, Flugzeuge mit Jubel-Schleppnetzen kreisen übers Land. Doch diese Wertung könnte zur großen Fehleinschätzung werden. Nach ein paar Niederlagen der Liga Nord bei Kommunalwahlen sind sich die italienischen Parteien zu sicher, daß Kritik am Zentralstaat out ist. Die Mißachtung der Forderungen nach einem ausgedehnten Föderalismus war einer der größten Fehler aller bisherigen Regierungen, und auch die neue macht keine Ausnahme. Denn die Liga stützt sich auf wirtschaftliche und soziale Fakten, die nicht von der Hand zu weisen sind – auch wenn ihre teils bis ins Rassistische gehenden Forderungen abstrus sind.

So droht eine schnelle Radikalisierung, wenn es am Wochenende zu blutigen Auseinandersetzungen kommt – zwischen Bossis Anhängern und den ebenfalls zu Zehntausenden mobilisierten Gegnern aus der Nationalen Allianz oder zwischen Ligisten und den Ordnungskräften. Man sollte nicht vergessen, daß noch vor drei Monaten nur 5 Prozent der Norditaliener für Sezession waren – heute sind es dreimal soviel.

Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das leicht außer Kontrolle geraten kann – seitens der Regierung wie auch seitens des Liga-Führers Bossi, der sich allzu sicher ist, seine Gefolgsleute im Griff zu haben. Zudem weisen starke Indizien auf ein massives Interesse dunkler Typen an einer Stärkung des Separatismus. Geheimdienstler, die gern neue Arbeit hätten, mafiose Gruppen, denen Wirrwarr im Norden Entlastung vom derzeitigen Druck des Staates auf die Cosa Nostra brächte. Und auch ausländische Förderer sind nach einigermaßen glaubwürdigen Angaben zugange, bajuwarische Unternehmer und norddeutsche Manager. Die einen, weil sie traditionell anfällig sind für separatistische Tendenzen, die anderen, weil sie das neue Europa gern ohne die Fußkranken im Süden modellieren möchten. Die Parallele zum Zerfall Jugoslawiens ist derzeit gewiß übertrieben. Doch auch eine weniger gewalttätige Instabilität kann sich Europa in einem seiner Kernländer nicht leisten. Werner Raith

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