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Sexy Sadies starke Reise nach Berlin

■ Hamburger Filmwirken auf der heute zu Ende gehenden Berlinale: ein erster Rückblick auf die Spielfilme

Der Techniker ist überrascht. Wenigstens ein Mal an diesem Sonntag wird sein Gruß erwidert. „Man grüßt hier nur nach oben“, sagt er, von zahlreichen Empfängen schon etwas resigniert, und stöpselt ein Kabel ein, das der Rede von Christina Weiß im Geplauder des Café Einsteins Gehör verschaffen soll. Mit Autofocus im Blick und etwas gehetzt halten die geladenen Gäste des Hamburger Senats-Empfangs Ausschau nach den wirklich wichtigen Kulturschaffenden, die man ihrerseits am Fehlen eben dieses Blickes erkennen kann.

Und so lieh man sich gegenseitig gerade mal ein halbes Ohr, um fahrig zum Objekt der Begierde weiterzueilen. Als sich dann doch keine rechten Stars als Zugabe einfinden wollten, gerierten sich flugs die Medienschaffenden als solche. Manfred Eichel von aspekte zog sein weltmännisches Lächeln noch etwas weiter über den Backenzahn und schon blitzte ein Fotoapparat.

Vielleicht lag dieser prominente Mangel auch daran, daß am Abend die Premiere von Sexy Sadie, dem zweiten Streich des in Hamburg geborenen Regisseurs Matthias Glasner, anstand. Auch wenn dort keiner an irgendwelchen Ohrläppchen zupfte, wie es in der letzten Ausgabe dieser Zeitung zu beobachten war, zeigte sich das Panorama-Programm ausnahmsweise einmal von der ausgelassenen und glamourösen Seite. Der Buchmessen-Wilms lachte wie im Fernsehen lauthals über seine eigenen Witze und rief den Alexander. Der wiederum, mit vollem Namen Alexander Kluge, pfiff aus dem letzten Grippeloch und hustete den Rezensenten eine ordentliche Erkältung an den Hals, während das Filmteam im Verbund mit der Crew von Stille Nacht, Dani Levy und Maria Schrader, bei jeder Szene juxte. Mensch, guck mal, das bin ja ich!

Bei der Berlinale, das wird sich herumgesprochen haben, gibt es aber auch Filme zu sehen. Die zweite „Schnapsidee“ von Matthias Glasner, in aller Eile und mit Anleihen an die Flucht des Heidemörders Thomas Holst ausgeführt, war dann auch gleich ein spaßiger Höhepunkt des Festivals. Edgar ist raus, so der Untertitel, erzählt in den kontrastarmen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des film noirs die Flucht von Edgar (Jürgen Vogel) mit Hilfe seiner Gefängnisärztin Lucy (Corinna Harfouch). Als er von ihr wissen will, was er von den 90er Jahren im Knast verpaßt habe, ist ihre lakonische Antwort: Kabelfernsehen und Sushi. Leichtfüßig, ohne harmlos zu wirken, läßt Glasner die ehemaligen Opfer auf den entflohenen Sträfling los. Was Glasner als „existentialistische Komödie“ bezeichnet, erinnert wegen des gestischen Figurenentwurfs und der running gags etwa an Jim Jarmusch, ohne aber seine Eigenständigkeit zu verlieren. Seine sympathisch distanzierte Inszenierung zeigt Glasner dann auch mit seinem Cameo-Auftritt als neuer Ehemann von Edgars Ex-Frau, der mit nacktem, molligem Oberkörper einfach nichts kapiert. So ist ihm mit Sexy Sadie ein verdammt guter schlechter Witz über Sadismus gelungen, eine wunderbare Film-Groteske, deren Strategie ein wenig an das Thomas-Holst-T-Shirt im Holsten-Schriftzug erinnerte, das jemand bei der Premiere trug.

Doch die Freude über das hiesige Filmschaffen hielt nicht lange an. Die von der FilmFörderung Hamburg geförderte (siehe taz Hamburg vom 16. Februar 96) Tragikomödie Die kaukasische Nacht bedient sich vergeblich eines alten Tricks. Durch das mitfühlende Schmunzeln soll der Zuschauer in die Figuren eingeführt werden, die dann bitteres Leid erfahren. Doch während dem Regisseur Gordian Maugg, der mit dem Projekt schon seit sechs Jahren bei Filmförderungen hausiert, die erste Hälfte mit typisierenden Hinterhofbeobachtungen recht gut gelingen will, bleibt die Tragik zum Ende des Films ein Wasserkopf. Die deutsch-georgische Freundschaft zwischen den Söhnen der ungleichen Geschäftspartner gerät doch arg undurchsichtig. Weil der georgische Mystizismus in Litauen, wo die Geschichte spielt, ebenso fremd wirkt wie der Pragmatismus des deutschen „Entwicklungshelfers“ Alexander Hofschneider (Winfried Glatzeder), fragt man sich fortwährend, was eigentlich der eine Pubertierende vom anderen so sehnlich erwartet und warum er sich am Ende gar umbringt. Und was hat das alles mit den Schmetterlingen und den Video-Aufnahmen zu tun? Diese doppelte Fremdheit, die es Maugg erlaubt, in Vilnius mit den renommierten Schauspielern des georgischen Regisseurs Tengis Abuladse zu drehen, bleibt Konstruktion und verstärkt im Verlauf des Films die Milieuunsicherheit von Regisseur und Team. Auch übertreibt es Maugg ein wenig mit den running gags. So fallen genau sechs Mal ausgerechnet in einer Industrieporzellanmanufaktur die Kacheln von den Wänden.

Außerdem wird der Industrielle Hofschneider, dessen Name gern falsch ausgesprochen wird, auf die verzweifelte Suche nach einem Telefon geschickt, wo er doch anfangs ein Handy mitführt. Weniger wäre auch hier mehr gewesen. Und bestimmt wäre der Techniker auch von dieser Wendung überrascht gewesen.

Volker Marquardt

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