: Sexuelle Gewalt im KZ noch heute Tabuthema
Die Gedenkstätte in Ravensbrück veranstaltete ein Seminar zum Thema „Frauen im KZ — Sexualität, Schwangerschaft und sexuelle Gewalt“/ Nur eine ehemalige Gefangene folgte der Einladung/ Sexualität im Lager nach wie vor tabu ■ Von Anja Seeliger
Ravensbrück (taz) — Am Wochenende fand in der Gedenkstätte des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück ein Seminar statt zu dem Thema: Frauen im KZ — Sexualität, Schwangerschaft und sexuelle Gewalt. Das Thema erwies sich als klippenreich. Vor allem der erste Teil. Sexualität im KZ. Es erscheint irgendwie obszön, Konzentrationslager und Sexualität in Verbindung zu bringen. Als hätte es keine anderen Probleme gegeben.
Diese Einstellung schien die Berliner Sozialwissenschaftlerin Gudrun Schwarz, die über dieses Thema referieren sollte, zu teilen. Sie hielt einen ausführlichen Vortrag über das Lagersystem der Nazis. Lediglich die letzten fünf Minuten waren dem Thema Sexualität gewidmet. Schwarz berichtete, auf dem Kongreß „Women surviving the Holocaust“, der 1983 in New York stattfand, hätten ehemalige Häftlinge sich geweigert, über dieses Thema zu sprechen. Mit der Angst und dem Hunger seien im Lager sexuelle Gefühle verschwunden.
An dieser Stelle des Vortrags legt eine ältere Frau Widerspruch ein: „Wir haben uns nicht als ,Nichtmenschen‘ betrachtet. Natürlich gab es freiwillige sexuelle Beziehungen zwischen den Häftlingen.“ Darüber zu sprechen ist für die meisten ehemaligen weiblichen Häftlinge ein Tabu. Die Veranstalterinnen, Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte Ravensbrück, hatten in einem Rundbrief an die Lagergemeinschaft zwar ehemaliger Häftlinge eingeladen. Margarete Becker, die als Politische in Ravensbrück interniert war, ist jedoch als einzige gekommen.
Gefangene zur Prostitution gezwungen
Warum überhaupt eine Veranstaltung zu einem Thema, daß die Häftlinge zu ihrer Privatsache erklären? „Wir hatten in den letzten Jahren sehr häufig Lesbengruppen hier, die sich für dieses Thema interessierten“, erklärt eine der Veranstalterinnen, Christel Schulz. Die Zusammensetzung der Teilnehmer mag ihr recht geben: etwa 35 Frauen, überwiegend Lesben, und ein Mann.
Ende 1942, als das Desaster der deutschen Wehrmacht in Stalingrad nicht mehr zu verheimlichen war, traten Vertreter der IG-Farben mit einer etwas ungewöhnlichen Bitte an den Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz heran. Um die Arbeitsmoral der Häftlinge in den Rüstungsbetrieben zu steigern, erbaten die Wirtschaftsvertreter Vergünstigungen für die tüchtigsten Zwangsarbeiter: verbesserte Verpflegung, vorzeitige Haftentlassung und der Besuch eines Bordells.
Am 14. März 1943 erließ Oswald Pohl, Chef des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes eine Prämienvorschrift, die den Vorstellungen der IG-Farben exakt entsprach. Bordelle für die Häftlinge gab es zuerst in Mauthausen und Gusen. Dann folgten Auschwitz, Monowitz, Buchenwald, Dachau, Flossenbrück, Neuengamme und Sachsenhausen. Die Frauen für die Bordelle besorgte die SS hauptsächlich aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Neben den politischen Häftlingen wurden hier alle, die die Nazis als kriminell oder asozial abgestempelt hatten, interniert: Unter anderem Kinderlose, Ledige, Lesbische und Prostituierte. Margarete Buber- Neumann, die sieben Jahre als Politische im KZ Ravensbrück eingesperrt war, beschreibt die Konstellation im Lager: „Aber das Gros der Häftlinge bestand immer aus Menschen, die ,unschuldig‘ in diese entsetzliche Lage gekommen waren, denen nicht klarwurde, was über sie hereingebrochen war.“
Was über sie hereinbrach, waren Hunger, Schläge und Tod durch Injektionen, Erschießen oder Vergasen — im Dezember 1944 wurde eine Gaskammer in Ravensbrück errichtet, in der kurz vor Kriegsende noch Hunderte von Frauen ermordet wurden — und Sklavenarbeit in den zwanzig Produktionsbaracken, die Siemens neben dem KZ errichtet hatte. Als der Lagerarzt Schiedlausky versprach, wer sechs Monate in den Häftlingsbordellen durchhalte, würde vorzeitig entlassen, erschien das vielen Frauen besser als der Tod. Sie meldeten sich „freiwillig“.
„Bevorzugt“ bei der Auswahl wurden ehemalige Prostituierte, die als Asoziale oder Gewohnheitsverbrecherinnen eingeliefert worden waren. Obwohl Himmler 1937 in einer Rede vor SS-Gruppenführern die Prostitution als Mittel gegen Homosexualität pries („Wir werden auf dem Gebiet großzügig bis dorthinaus sein, denn man kann nicht einerseits verhindern wollen, daß die ganze Jugend zu den Homosexuellen abwandert und andererseits jeden Ausweg sperren. Das ist Wahnsinn.“), waren die Gesetze gegen Prostitution weiter verschärft worden.
In Hamburg wurden allein von März bis Dezember 1933 1.725 Frauen wegen „Belästigung und anstößigen Strichens“ verhaftet. In Ravensbrück fanden sich neben den „Freiwilligen“ auch viele andere Frauen zwangsverpflichtet. Bevorzugte Opfer in dieser Reihe waren die „Bettpolitischen“, Frauen, die wegen „Rassenschande“ ins KZ verschleppt worden waren. Margarete W. wurde in ihrem Dorf bei Rostock von der SS verhaftet, weil sie Kontakte zu einem „Halbjuden“ und polnischen Zwangsarbeitern hatte. Nach einer kurzen Zwischenstation in Ravensbrück fand sie sich im Häftlingsbordell des KZ Buchenwald wieder.
Grundsätzlich abgelehnt wurde der Bordellbesuch — zumindest theoretisch — nur von den Politischen. Eugen Kogon begründete das später mit der „Gefahr der Korrumpierung und Schwächung der politischen Gefangenen“. Vor einem Besuch bei den „Flintenweibern und Huren“ (Kogon) warnten auch die Dachauer Politischen und organisierten einen Boykott des Lagerbordells. Das Argument, die Zwangslage der Frauen dürfe nicht ausgenutzt werden, ist in diesem Zusammenhang nicht gefallen.
Vorzeitig entlassen wurde keine der Frauen, die sich zur Prostitution zur Verfügung gestellt haben. Meist kamen sie krank oder schwanger zurück nach Ravensbrück. Frauen, die sich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hatten, benutzte Lagerarzt Schiedlausky als Versuchskaninchen für Heilmittel. Von ihren Mithäftlingen wurden die Prostituierten verachtet oder mit christlicher Nächstenliebe überhäuft. Nanda Herbermann, Sekretärin eines Pfarrers, war Blockälteste im Dirnenblock.
Sie schreibt in ihren Erinnerungen: „War es nicht schön, als wir in tiefer Nacht zusammen ein Vaterunser gebetet haben? Und du flehtest: Bete es noch einmal ... Aber du hast mich doch schwer enttäuscht und dich für das Bordell des Männer-KZ in Mauthausen gemeldet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen