Sexmesse "Venus": Lichtblick inmitten der Finanzkrise

Die "Venus" in Berlin ist eine schrille Leistungsschau einer Industrie, die das Wort "Rezession" nicht kennt. Bei einer Flaute wird einfach das Medium gewechselt. Ein Ortstermin.

"Der Mensch isst, trinkt und hat Sex. Da müssen wir uns sicherlich keine Sorgen machen", so Porno-Produzent Zwbin. Bild: reuters

So läuft's: Kollabierende Banken, versenkte Millionen, durchhängender DAX, düstere Rezessions-Wolken - die Aktiven und Passiven der Branche für verfilmte Fantasien, die Versorgung mit hautenggeschneiderten Latex-Anzügen und Dildos in jede Vorliebe befriedigender Vielfalt legen trotz Finanzkrise nicht die Stirn in Falten. Porno-Produzent Andrey Zwbin gibt sich gelassen: "Der Mensch isst, trinkt und hat Sex. Da müssen wir uns sicherlich keine Sorgen machen."

Das gibt's: 380 Firmen aus 38 Ländern sind vor Ort. Ihr Angebot: Lack- und Lederwaren für die Fetisch-Freunde, Pornos, Sextoys. Als "Weltneuheit" gepriesen - der ERO-Navi. Wozu: "Du stehst im Samenstau und brauchst schnelle, befriedigende Verkehrsführung? Dann schalte den ERO-Navi ein. Mit dem Auto kreuz und quer durch Deutschland von Puff zu Puff, zielgenau und treffsicher zum Samenerguss." Oder: "Anal Relaxing-Spray" auf organischer Basis, chirurgische Vaginal-Verjüngung, Penis-Extender zum Umschnallen für alle, die sich Zentimeter ohne Narkose zulegen wollen.

Der Alltag: Frau Himmelsbach, Angestellte bei einer Filmproduktionsfirma, seit 2000 dabei, ist mit dem Kunden zum Geschäftstermin auf der Messe verabredet. Dieses Jahr vertritt sie ihre Firma jedoch ohne Stand. "Es ist einfach irre teuer und unglaublich aufwendig", sagt sie. Wenn man seit acht Jahren dabei ist, was genau gefällt einem noch an der Messe? "Am ersten Tag ist die Messe nur für das Fachpublikum und die Presse offen. Richtig lustig wird es erst, wenn die normalen Besucher kommen. Dann herrscht direkt eine ganz andere Stimmung." Was für Menschen trifft man auf der Messe? "Das sind dann zu 90 Prozent alte Gaffer, fünf Prozent Profimädels und fünf Prozent gehören zu der Sorte Mensch, die sich halt für ganz besonders sexy halten" erzählt sie.

Die Stars: Neben Tatjana Gsell als diesjährige Werbebotschafterin spricht man auch über eine Darstellerin namens Lisa Ann, die Sarah Palin, der republikanischen Kandidatin für die Vizepräsidentschaft vom diesjährigen Präsidentschaftskandidaten John McCain unglaublich ähnlich sieht und in"Who's Nailin' Paylin?" ("Wer nagelt Paylin?") die Hauptrolle spielt. Zu den weniger spektakulären "Attraktionen" gehören Autogrammstunden (oben ohne) und Bühnen-Performances, bei denen polnische Pornostars vor laufenden Kameras lächelnd mit Dildos hantieren. Bondage-Spielchen auf der Bühne der "Fetish Area" und nackte Frauen an Stangen locken den Besucher an jeder Ecke. Neben dem Finale der Miss-Venus-Wahl findet am Sonntag ebenso ein Oktoberfest statt, für das die Wildecker Herzbuben auftreten werden.

Das sagen die Profis: Für eine Frau in der Branche, die nicht als Porno-Darsteller arbeitet, ist die Messe beim ersten Mal "schon gewöhnungsbedürftig. Es ist aber sehr amüsant, wenn man einmal drüber steht. Ich war schon auf einer Computermesse, die empfand ich als sehr einschläfernd. Zu viele Nerds. Hier zeigen die Menschen immerhin noch Emotionen." Diese "Emotionen" lassen sich in Form von Gaffen und Grapschen an jeder Ecke beobachten.

Die Aussichten: Wirtschaftsminister Glos korrigiert Prognosen zähneknirschend auf bis zu unter einem Prozent - Mike Frontzeck, Projektmanager einer Internetseite für Amateur-Pornos, hingegen verzeichnet Wachstums-Raten, die zuletzt Scheichs und Chinesen gewohnt waren: 15 Prozent. 200.000 User streunen mittlerweile über seine Seite, weil sie sehen und zeigen wollen, wie Deutschland und die Nachbarn ihre Wäsche ablegen, loslegen, keuchen, schreien, stöhnen. Die Geschäftsidee: filmen, hochladen, abkassieren. Jeder, der eine Kamera oder sein Handy mehr oder weniger halten kann, bietet sein Sex-Video an. Ob grobkörnig, verwackelt oder dunkel - technische Qualität ist nachrangig. Bizarres, Ungewohntes lockt die Computer-Maus zum Klick. "Es ist unglaublich, auf was für Ideen die Menschen kommen - das Anrufen des eingeführten und auf Vibrationsalarm gestellten Handys ist da nur eine Variante."

Den sich selbst Produzierenden bleibt vom Gewinn 25 Prozent. "Mit der Selbstbefriedigung vor der Kamera verdient sich so manche alleinstehende Frau etwas dazu. Für andere ist es eine Plattform, sich mit anderen zum Sex zu verabreden und sie wissen schon vorher, was sie erwarten können."

Die Newcomer: Tom Firsov und Ulrich Jung beispielsweise leben so, dass es ihre Eltern endlich akzeptieren können. Erst freundeten sich Mama und Papa nach und nach mit der Aussicht an, dass ihre Söhne ihnen wohl niemals eine Braut vorstellen, jetzt schlägt ihr Herz noch ruhiger, weil sie sicher sind, dass die schwulen Söhne nicht vor die Hunde gehen: ihr Laden läuft. Vor zwei Jahren gründeten der Maskenbildner und der Mediengestalter ihre Firma. Per Internet vertreiben sie Sexspielzeug und DVDs, drehen selbst schwule Pornofilme. Der eine filmt, der andere schneidet. "Wir machen, was wir können, und was uns einfach Spaß macht. Und das bei nur 10.000 Euro Produktionskosten." Drei Filme im Jahr reichen ihnen für schwarzen Zahlen auf dem Konto. Wenn es gut läuft, verkauft sich ein Film 2.000 bis 3.000 Mal. Nur noch die Hälfte davon verlässt auf DVD gebrannt die Firma. "Immer mehr laden sie sich lieber online für eine befristete Zeit herunter. Das spart Geld und Platz im Regal. Denn egal welcher Film es ist - spätestens bem vierten Mal ist er schon langweilig."

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