Sexarbeit in Österreich: Bordstein ohne Schwalben
An diesem Dienstag tritt in Wien ein Gesetz in Kraft, das den Straßenstrich nach Anwohnerprotesten eindämmen soll. Viele Prostituierte fühlen sich bedroht.
WIEN taz | Josephine Mutzenbacher, die berühmteste Wiener Hure der Literatur, hätte keine Probleme mit dem neuen Wiener Prostitutionsgesetz. Denn am Straßenstrich trieb sie sich nie herum. Heute tritt das Gesetz in Kraft, dessen Ziel es ist, die Prostitution aus den Wohngebieten zu verbannen. Anwohnerinnen etwa im Stuwerviertel, das an den Vergnügungspark Prater grenzt, hatten sich immer wieder über Belästigungen auf der Straße beschwert. Fackelzüge erboster Demonstranten brachten das Rathaus in Zugzwang.
Schon zu Jahresbeginn war das Projekt in Angriff genommen worden. Denn ein Feldversuch, den Straßenstrich von Wohngebieten in speziell definierte Straßenzüge zu verlagern, war im Vorjahr gescheitert. Das neue Prostitutionsgesetz sollte fertig sein, "bevor es warm wird", übte sich Frauenstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) damals in Optimismus. Ihr erklärtes Ziel: "Die Prostitution soll sich in Richtung Indoor verlagern." Immerhin tritt das neue Gesetz in Kraft, bevor es richtig kalt wird.
Ausgewiesene Rotlichtviertel wie die Hamburger Reeperbahn hat es in Wien nie gegeben. Die Straßenprostitution spielt sich schwerpunktmäßig um den Prater und entlang des Gürtels ab, der die inneren von den Außenbezirken trennt. Ganz so radikal, wie von den Betroffenen anfangs befürchtet, wird die Neuerung doch nicht ausfallen. So wurden von der rot-grünen Stadtregierung fünf Zonen definiert, wo auch weiterhin auf der Straße angebahnt werden darf.
Für Daniela, eine 27 Jahre alte Hure, die in der Sonntagspresse zitiert wurde, ist die "Indoor"-Verlagerung keine Option: "In einer Bar bin ich gebunden. Hier bin ich frei. Ich kann kommen und gehen, wann ich will. Außerdem muss ich in einer Bar vorher mit dem Kunden was trinken und 50 Prozent an den Barbetreiber abliefern."
Sichere Arbeitsplätze für Sexarbeit
Eine Steuerungsgruppe aus Grünen, den Bezirken, NGOs und der Polizei versucht die Anwohner zu entlasten und sichere Arbeitsplätze für die Sexarbeiterinnen zu schaffen. Trotzdem fühlen sich viele Prostituierte bedroht. "Der Gesetzesentwurf bereitet den Boden für weitere systematische Menschenrechtsverletzungen, indem er Meinungsfreiheit exzessiv einschränkt (Art 10 EMRK) und polizeiliche Vollmachten einführt", heißt es in einer Stellungnahme des Vereins Sexworker Forum zum Gesetzesentwurf. Man fürchtet Durchsuchungen und verdeckte Ermittlungen ohne Rechtsschutz sowie Zwang zur Selbstbezichtigung. Polizeiübergriffe würden unter den neuen Bestimmungen straflos bleiben. Auch bei den Grünen herrscht keine ungeteilte Begeisterung.
Österreich ist sowohl Transit- als auch Zielland von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung. Nur vier Prozent der aktuell 2.200 in Wien registrierten Sexarbeiterinnen sind Einheimische. Rumänien stellt mit einem Anteil von 29 Prozent das größte Kontingent. Ungarn, Bulgarien, die Slowakei und Nigeria folgen. Man kann davon ausgehen, dass der etwa doppelt so große illegale Strich gänzlich von Ausländerinnen bedient wird.
Für Asylbewerberinnen ist Prostitution praktisch die einzige bezahlte Arbeit, der sie legal nachgehen dürfen. Ihr Platz ist auf der Straße, wo seit Jahren ein heftiger Verdrängungswettbewerb herrscht. Stundenhotels für 10 Euro sind rund um die Anbahnungsviertel aus dem Boden geschossen. Renate Blum vom Migrantinnenhilfsverein LEFÖ sieht Ausländerinnen besonders gefährdet. In den neuen "Erlaubniszonen" sei es um die Sicherheit nicht zum Besten bestellt.
Das neue Gesetz spricht von "Prostitutionslokalen", ohne diese zu definieren. Das Sexworker Forum sieht die Gefahr, dass auch "die private Wohnung einer Person, die mit Sexarbeit nichts zu tun hat, bis zum Beweis des Gegenteils ein Prostitutionslokal" sein könne. Bestehende Stundenhotels, Anbahnungslokale und andere "Prostitutionslokale" müssen sich nach dem neuen Gesetz registrieren lassen.
Befremden löste die Ankündigung aus, dass eine der Erlaubniszonen ausgerechnet der Josef-Holoubek-Platz sei. Die Idee kann auch nur jemandem in der Stadt Sigmund Freuds gekommen sein. Der Platz ist nämlich kein traditioneller Ort des Straßenstrichs, liegt aber gegenüber dem Verkehrsamt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Deutsche und das syrische Regime
In der Tiefe