: Sex und Allied Forces
Über Berliner Soldatenbräute von den fünfziger Jahren bis heute, ihre Kinder und deren Erinnerungen. Ein intimer Bericht der amerikanischen Reporterin ■ Mai Lefers
Jetzt haben sie höchstens noch einen Koffer in Berlin, unsere Alliierten. Anders gesungen: „It's the final countdown“ für die vier ehemaligen Besatzungsarmeen, am Donnerstag findet der letzte Abschied statt. Bald werden auch viele Leute sagen „mir reicht es“ mit den Nachrufen. Aber halt, es gilt noch eine Lücke zu schließen. Nämlich die über das Sexleben der alliierten Soldaten. Denn auch „Kalte Krieger“ haben sich nicht nur auf den „Ernstfall“ vorbereitet. Nein, neben der „Freiheit“ haben sie auch den „Feierabend gerettet“. Noch sind viele Berlinerinnen nicht zu Wort gekommen, die ein Lied davon singen könnten. Ihre Tonlage ähnelt dem Blues: Weh-Mut vermischt sich mit Lebens-Lust.
Die erste Erinnerung an meinem leiblichen Vater ist, erzählt Johnny K., „daß er mich vollgestopft hat mit Schokolade. Er hat einen witzigen Humor gehabt und war sehr lustig“. Johnny hat seine Mutter dazu befragt, und die habe gesagt, ja das stimme. „Sie hat sich über die Geschenke immer tierisch aufgeregt, weil ich Säugling anschließend so verschmiert war.“
Das einzige was Gai S. über ihren Daddy erzählt, ist, daß er Musik gemacht hat. Tja, und daß er Tellerwäscher war in einer Großküche und daß er ziemlich viel gesoffen hat und viele Frauen hatte. Das wär's so ungefähr. Sie spricht nicht gerne über ihn. „Außerdem sieht mein Vater so'n bißchen aus wie icke, die Ohren vor allem, 'n bißchen amimäßig eben.“
Johnny K. und Gai S. haben einiges gemeinsam: Beide sind in den späten fünfzigerJahren geboren, die Mütter lebten in West- Berlin, beide Väter waren in der US-Army, und beide haben einige Zeit mit ihnen gelebt. Sie haben auch von anderen Kindern aus solchen Beziehungen gewußt. „Davon gibt's ziemlich viele“, meint Johnny. Sind ja viele Parties gefeiert worden mit den amerikanischen Soldaten. Gai erinnert sich: „Da wo ich gelebt habe, gab's mehrere Frauen, die von Besatzern, also Weißen, Kinder hatten. Es kamen auch Asiaten dazu, so 'ne Mischung.“
Daß Berlin vier Sektoren hatte, ist bekannt, daß sie alle aber wiederum ihre eigenen erogenen Zonen hatten weniger. Zweifellos, die US-Boys sind die begehrtesten Liebhaber gewesen in dieser langen Nachkriegszeit, aber „die Russen“ waren auch nicht ohne Sex- Appeal. Michael U. (45) und seine Mutter sind sich einig darin, daß ihre Geschichte schmerz- und lustvolle Seiten hat. Die Mutter hat ihrem Sohn gesagt, „daß es eine schöne Erinnerung für sie ist, die sie sich nicht kaputtmachen lassen will“. Sie habe aber später „wegen mir und dieser Liebe viel gelitten “. Mit 13 Jahren zwang Michael seine Mutter, mit der Wahrheit herauszurücken. Seitdem empfindet er eine Art russische Seelenverwandtschaft. In der DDR hatte dies sowohl Vor- als auch Nachteile. „Ab einem bestimmten Zeitpunkt hatte ich – ähnlich wie die Kinder von schwarzen Amis – unter Rassismus gelitten. Bloß hieß er bei uns Anti-Sowjetismus“. Die FDJ aber hieß Michaels „Russenliebe“ willkommen, nicht aber seine Aufmüpfigkeit. Michael erklärte seine kritische Haltung zum Kommunismus mit dieser privaten Geschichte. Einem Parteisekretär, dem er sagte, „warum ich mir offene Worte leisten kann, sind einfach die Tränen gekommen“, erinnert er sich.
Druschba? Zum Weinen ...?! Weder Michael noch Natasija P. (36) haben ihre Väter je kennengelernt, haben auch nie Fotos von ihnen gesehen. Unter dem Druck der Verwandtschaft oder der Zeit sind alle Souvenirs vernichtet worden oder irgendwie abhanden gekommen. Aber sie machen sich so ihre Biographie zurecht. „Ich habe gehört, daß mein Vater meine Mutter heiraten wollte, daß sie sogar mal in einer kleinen Wohnung zusammenlebten. Aus der Zeit stammt auch mein Bruder.“
Das Interview mit Natasija hatte so angefangen: „Tja ... ich kann mich nicht wirklich an ihn erinnern. Wenn ich meinen Bruder sehe, dann bin ich ziemlich sicher: So müßte mein Vater gewesen sein.“ Doch meine Mutter hüllt sich in Schweigen – als ob sie diesen Lebensabschnitt abgeschlossen hat.“ Wie sie ihn kennengelernt hat, weiß Natasija also nicht.
Dies weiß aber Michael. Seine Mutter habe ihm erzählt, daß sie einmal zusammen mit einer Freundin in einen Nachbarort geradelt sei. Dort sei eine russische Garnison in einem Kloster untergebracht gewesen, und die Russen hätten dort oft ein Lagerfeuer gemacht. „Mein späterer Vater hat gesungen, und das hat meiner Mutter so gut gefallen. Sie haben miteinander getanzt, und gut ausgesehen habe er auch. Ja, sie war wirklich von ihm hingerissen.“
Ob die Frauen dieser Generationen über ihre Liebschaft reden konnten, hing immer von ihrer Umwelt ab. Viele haben bei einer späteren Heirat mit einem Deutschen versprechen müssen, über ihre Vergangenheit zu schweigen. Das war so eine Art Braut-Preis in den fünfziger Jahren. Öfter haben die Kinder nur durch Andeutungen oder nur durch Zufall ihre Herkunft erfahren.
Brigitte B., Tochter eines französischen Soldaten, interessierte sich in jüngeren Jahren (aus Protest) nicht sehr für ihren Ursprung, doch jetzt (be)merkt sie: „Es geht mir doch ans Herz. Und es zieht mich nach Frankreich.“ Beim Abschied eines britisch-schottischen Regiments im Rathaus Charlottenburg, im Frühjahr 1994, war auch ein Grüppchen junge Berlinerinnen dabei. Zum Rendezvous und „date“ mit jungen französischen und britischen Soldaten trafen sie sich früher im „Hard Rock Café“. „Einige Freundinnen von mir“, erzählt eine Frau, „seien schwanger oder haben auch schon ein Kind aus solchen Beziehungen. Bis neun Monate nachdem der letzte (un)bekannte Soldat abgezogen ist aus Berlin, werden noch „souvenirs d'amour“ geboren werden.
Vor allem in den fünfziger Jahren kümmerte sich besonders die Presse um die Frauen, die Kinder von alliierten Soldaten hatten. Denn schließlich gab es doch damals das „Fraternisierungsverbot“. Bei Zuwiderhandlung drohte den US-Soldaten ein Bußgeld von 64 Dollar. Besonders die Frauenwochenzeitung Für Sie hielt die Leserinnen bis 1951 gut informiert. Im Juni 1946 erinnerte sie daran , „daß Heiraten amerikanischer Soldaten mit deutschen Mädchen verboten bleiben“. Ende 1946 änderte sich das. „In Berlin versuchen mehr als 2.500 amerikanische Soldaten, ihre deutschen Bräute nach den Vereinigten Staaten mitzunehmen, um sie dort zu heiraten“, schrieb sie in der Weihnachtsausgabe 1946.
Und am „27. 12. 48 trafen die letzten Transportschiffe und Flugzeuge mit über 1.600 Soldatenbräuten aus Europa in den USA ein, die noch die ablaufenden Sonderbestimmungen zur Einreise ausnutzen wollten, meldete Für Sie im Januar 1949. Töchter aus solchen Ehen organisierten 1985 eine „convention“, wo über 2.000 ehemalige „warbrides“ (und eine männliche Kriegs„braut“) sich trafen. Ronald Reagan bedankte sich schriftlich bei den eine Million Kriegsbräuten nach 1945 für ihren „Beitrag zum Leben und zur Geschichte dieser Nation“.
In England schrieb die Historikerin Juliet Gardiner ein Buch über die in Deutschland stationierten amerikanischen GIs. Sie analysierte, daß in den Staaten die Schicklichkeit von Romanzen zwischen „local girls“ und den US-Soldaten genauso umstritten war wie im Nachkriegsdeutschland. Nach den herrschenden Moralvorstellungen hatte eine junge Frau einfach nicht so „willig“ zu sein. Doch im Unterschied zur Bundesrepublik, wo der hämische Ausdruck „Amiliebchen“ sich erstaunlich lange hielt, bekamen in den Staaten auch die Jungs was ab. So hieß es: „They're overpaid, oversexed and over here.“
Letztes Jahr präsentierte das „British Imperial War Museum“ in London eine Ausstellung „Forces Sweethearts“. In einem sehr sinnlichen Katalog dazu werden Romanzen zu Kriegszeiten präsentiert. Vom Ersten Weltkrieg bis hin zum Golfkrieg ist dokumentiert, wer mit wem, wie, wann und wo sich verliebte. Ob auch die männlichen Ausstellungsmacher in dem Westalliierten-Museum in Berlin-Zehlendorf oder in dem sowjetischen Museen in Karlshorst an die „bedingungslose Kopulation“ und an eine Abteilung „love, l'amour, ljubov “ denken? Gebührt nicht schließlich den Frauen, die das Berliner Soldatenleben versüßt haben, auch Dank? Sie waren den „großen PolitikERn“ weit voraus. Sie brauchten kein Tauwetter, sie nannten die alliierten Soldaten gleich Freunde. Und alle zusammen hielten sich warm während des „Kalten Krieges“. Eva N. (30) ist der Meinung, daß „die Frauen ihr Leben für den Klub gegeben“ haben. 15 Jahre lange sind sie in die Discos gegangen und haben sich und die mit- tanzenden (US-)Soldaten amüsiert. Dann wäre auch ihre Freundin, Bianca V. als „typische Berlinerin“ anerkannt. Denn Bianca ist die Tochter eines britischen Soldaten und heute verheiratet mit einem amerikanischen GI. Und Charlotte L. würde mit 85 Jahren nicht sagen brauchen: „Ich hab' doch nichts Böses getan.“ Und Johanna W. hätte das Foto ihres russischen Rudi (von 1948) noch.
Die Kinder dieser Beziehungen hätten schon eher eine Chance gehabt, mit ihren Müttern und anderen, darüber zu reden. Obwohl die Zeit einiges abschleift, es gibt kaum noch welche, die heute noch an ihrem Ur-(Ei)Sprung leiden. Aber einige Kinder könnten dann vielleicht ihre Väter, vor allem ihre russischen, unverkrampft kennenlernen.
Ich kenne nur einen Mann, Jahrgang 1949, der das geschafft hat. Sein „Papa“ war ein prominenter sowjetischer Kulturoffizier. Als Grischa M. 14 Jahre alt war – und die Großwetterlage unter Breschnew und Co gerade etwas auftaute –, wurde der Vater rehabilitiert und besuchte mit einer Politdelegation Ost-Berlin. Und auch die Mutter. Das war nett, denn mehrere Besuche folgten, auch Rückbesuche in Moskau. Grischa und seine Familie haben die (massiven) Schwierigkeiten überwinden können. Sie hatten allerdings durch den offiziellen Politsegen, eine privilegierte Stellung.
Jetzt, wo die Russen alle aus Deutschland abgezogen sind, meint Grischa M., habe er das Gefühl, daß auch ein Stück von ihm weggegangen ist. Für die Militärparaden hat er sich nicht interessiert, aber die Art der Verabschiedung hat ihn sehr geärgert. „Der Abzug der russischen Truppen war im Grunde ein Volksfest über die Verlierer. In Berliner Abgeordnetenkreisen habe es inoffiziell schon mal gehießen, ,man soll ihnen an der Stadtgrenze den Laufpaß geben‘. Als Ausgestoßene müssen die Russen sich doch jetzt vorkommen“. Das sei die falsche Lehre, meint Grischa.
Und nun, wo wir die Wahrheit und nichts als die Wahrheit über die wechselseitigen Beziehungen kennen, könnten wir, wenn die alliierten Soldaten am Donnerstag zum letzten Mal durch die Stadt stolzieren, uns andere Visionen gönnen. Zum Beispiel eine „army of love“ oder „army-lover“-Paraden.
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