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Sex mit Vestalinnen

■ Der Multimedialist Klaus Wyborny präsentiert eine Woche seine Kunst-Werke

Er lächelt spitzbübisch und nippt an seiner Bierdose. Dann erzählt der gelernte Quantenphysiker, das Obszönste im alten Rom sei der Sex mit Vestalinnen gewesen. Im Hintergrund ventiliert der Dia-Projektor, damit das Bild der römischen Tempelpriesterin nicht wegbrennt. Über die auf dem Fußboden verstreut herumliegenden lateinischen Texte gebeugt erklärt er, das Verhältnis von Kennedy, Ginsberg und den Beatniks sei genau das gleiche gewesen wie das von Caesar, Cicero und Catull: „Der Dichter greift den Mächtigen an die Eier.“

Auch er selbst sieht sich als „dichterisches Korrektiv“. Doch Klaus Wyborny ist nicht nur Dichter, er musiziert, malt, filmt. Außerdem lehrte er an Kunsthochschulen in Deutschland und den USA und programmierte einst die Software für einen Versicherungskonzern. Es fällt ihm leicht, die Chaostheorie als „Mathematik von 1850“ abzutun, um im folgenden Satz - und bei der nächsten Dose Bier - über die neurophysiologischen Wirkungen von Rotfiltern im Film und über das quantentheoretische Problem von Schrödingers Katze zu reden.

Der Hamburger Multimedialist scheint einer der letzten Gelehrten nach mittelalterlichem Vorbild zu sein; in seinen 48 Lebensjahren eignete er sich Einiges an Wissen und Können an. Dabei entsteht der spezifische Wyborny-Witz immer dann, wenn er entlegene Fachbereiche miteinander kombiniert. Ein paar seiner Kunst-Werke präsentieren sich ab heute in der Öffentlichkeit: Von heute bis zum 11. September werden fünf Filme und eine Lesung plus Performance zu sehen sein.

Besonders empfehlenswert, weil mit Humor versehen: die Lesung am 9. September im Literaturhaus, ein Griff nach dem Gemächte der Mächtigen. Wyborny läßt den römischen Demokraten Aemelius Lepidus gegen Lucius Sulla, den römischen Feldherren, rhetorisch zu Felde ziehen. Lepidus zieht alle miesen Register, er bezichtigt den Machtgierigen der geschlechtlichen Schweinereien. Dabei phantasiert Wyborny nicht, sondern bedient sich höchstseriöser Quellen aus der anerkannten Geschichtsschreibung.

Weniger humorvoll, dafür mit ausgeklügelster Technik entstanden, ist seine Pentalogie der „Flackerfilme“, wie Wyborny seine Experimentalfilme nennt. Für die Augen eher anstrengend, doch fürs Gehirn fast meditativ sind seine Filmschnipsel-Reihen, die sowohl psychoanalytische Aspekte verbergen als auch politische Aussagen transportieren. Teil 3, Verlassen; verloren; einsam, kalt (Missa Solemnis) kann am 9. September um 19 Uhr im Metropolis angeschaut werden, Teil 4, Aus dem Zeitalter des Übermut ist am kommenden Sonntag um 21 Uhr im Marinehof zu sehen.

Ebenfalls die gleiche Machart - visuelles Sampling vom immergleichen Stück - weisen die 42 Seestücke in annähernd Phrygischer Tonart auf. Dieser Flackerfilm ist ebenso wie die Missa Solemnis eine Erstaufführung. Der Vollständigkeit halber seien noch die zwei Wiederaufführungen erwähnt: Am Mittwoch, den 8. September um 19 Uhr läuft im Metropolis der Spielfilm Das offene Universum und am 11. September um 21 Uhr kann im Lichtmeß der Super-8-Spielfilm Am Arsch der Welt von 1981 angeguckt werden. Damals griff Wyborny halt noch nicht an die Eier, sondern nur in deren Umgebung. Greta Eck

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