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Sex-Talk, Folge 3 Wir haben einfach zu wenig Sex!

Ruth will nicht so viel über Sex reden, sondern lieber möglichst guten haben. Warum macht ihre angeblich sexpositive Generation alles so kompliziert?

Haben wir noch Lust? dpa

Von RUTH FUENTES

taz FUTURZWEI, 15.06.2023 | Mein Körper vibriert im Sound des Basses. Ich spüre Arsens Wärme hinter mir, und wie er mich von hinten an den Hüften packt. Spüre seine Lippen an meinem Nacken, seine Hand unter meinem Shirt, und dass es ihm gefällt, dass es mir gefällt.

„Lass uns nach Hause gehen“, raunt er mir ins Ohr. Ich nicke und grinse dabei vermutlich ziemlich dämlich. „Ich hole kurz unsere Jacken.“

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 28, ist Redakteurin des taz lab 2023

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Auf dem Weg durch den Club zur Garderobe passt mich eine junge Frau ab: „Tschuldigung, aber war das grad okay für dich?“

Ich schaue sie irritiert an.

„Der Mann da hat dich so angetanzt … ich wollte nur wissen, ob’s für dich okay war?“

Sie scheint uns vom Rand der Tanzfläche beobachtet zu haben.

„Klar, wir kennen uns. Habe ich nicht so gewirkt?“

„Doch, doch, ich wollte nur sichergehen. Man weiß ja nie ...“

Ich versuche sie beruhigend anzulächeln. Alles gut. Aber so richtig gut erscheint mir das alles nicht. Im Gegenteil, ich bleibe ziemlich verwirrt zurück. Hin und her gerissen zwischen der vermeintlichen Solidarität unter Frauen und übermäßigen Awareness, die ich als linksliberale Person und Teil des Berliner Clublifes natürlich gutheißen möchte. Und dem krassen Misstrauen der Frau gegenüber der Möglichkeit, dass da zwei Personen einfach einvernehmlich geil aufeinander sein könnten.

Sexpositive Partypeople

Ich schaue mich um. Schaue in die verstrahlten Gesichter, auf die tanzenden, schwitzenden Körper. Die Berührungen, die ausgetauscht werden. Es fühlt sich alles so frei an um mich herum. Irgendwas sagt mir, dass sie sich alle als sexpositiv verstehen, also laut Definition die eigene und jede Sexualität anderer vorbehaltlos annehmen.

Ich gehe auch davon aus, dass die meisten mindestens eine Dating-App auf dem Smartphone haben, und wenn sie Beziehungen führen, dann nur offene. Wir sind so aufgeklärt wie noch nie, aber lassen wir’s auch zu? Haben die Partypeople um mich herum wirklich ein befriedigendes Sexleben?

Ich muss daran denken, dass ich letztens gelesen hatte, dass unsere Generation viel weniger Sex hat als die Generationen vor uns. Dass laut einem Arte-Clip jede zweite Schwedin lieber joggen geht, jeder vierte Amerikaner lieber Netflix schaut als zu vögeln, und mehr als ein Drittel der Japaner zwischen 16 und 19 Jahren sagen, sie interessieren sich gar nicht für Sex.

Herrscht gar vor lauter Sexpositivity ein sexueller Druck und so viel Vorsicht, etwas „falsch“ zu machen, dass viele lieber ganz auf Sex verzichten?

Sind wir etwa so aufgeklärt und sexüberladen, dass wir gar nicht mehr frei unseren Trieben nachgehen können? Wollen? Müssen? Sexpositiv, aber unbefriedigt? Haben wir im ganzen Diskurs über Sex vergessen, wie der eigentlich geht?

Oder – jetzt wird’s ganz düster – sind wir vielleicht gar nicht so progressiv wie wir tun?

Lieber reden statt ficken?!

Unlängst startete ich zum Spaß eine Umfrage bei Instagram: „Was macht ihr lieber? Über Sex reden oder Sex haben?“ Mehr als ein Drittel klickten tatsächlich auf „über Sex reden“ statt auf „Sex haben“.

Ist das vielleicht das Ergebnis von komischen Aufklärungsversuchen genierter Lehrer und Eltern, denen wir zunächst durch Pornos versuchten entgegenzuwirken und wenig später durch hektischen Club-Toiletten-Sex?

Oder ist es einfach doch nur Prüderie und Angst, gegenüber der oder den anderen Personen loszulassen, zu genießen, zu vertrauen? Es könnte ja irgendwie unangenehm oder weird werden.

Die Behauptungen meines Freundes Aron schwirren mir immer noch durch den Kopf. Wir würden zu wenig über Sex reden. Schwachsinn, denke ich mir genau in dem Moment, als ich mit den Jacken aus dem Club laufe. Wir haben einfach zu wenig Sex!

Der akademische Diskurs kann warten

Ich erzähle es Arsen, der schon auf mich wartet. „Na, dann lass uns das sofort ändern“, sagt er lachend und küsst mich. Können wir bitte kurz diesen akademischen Diskurs fortführen? denke ich. Und dann: Oh mein Gott, jetzt werde ich auch schon so – und küsse schnell zurück. Der Uber hält vor uns – ja, in solchen Notfällen ist es gerechtfertigt, dieses evil Unternehmen zu unterstützen, ausnahmsweise – und wir steigen ein und setzen uns auf die Rückbank.

Arsen fängt an, zwischen meinen Schenkeln zu fummeln. Und wirklich jetzt im unpassendsten Moment fällt mir Arons zweite Behauptung ein, dass Frauen schwerer zu befriedigen seien und deswegen mehr über Sex sprechen müssten. Also gerade fühlt sich das nicht so an … und auch hier muss ich wieder daran denken: Lieber machen und ausprobieren, nicht reden, oder?

„Können Sie bitte aufhören?“

Ich schrecke auf . Der Uber-Fahrer hat tatsächlich mitten auf der menschenleeren Allee gehalten, um uns zu sagen, dass er uns auffordern muss, auszusteigen, wenn wir nicht sofort „damit“ aufhören. Ich habe das Gefühl, dass vor allem mich sein böser Blick trifft. Eine Gebetskette hängt an seinem Rückspiegel.

„Reinheit“ geht vor

Laut einer weiteren Studie der vielen Studien, die ich in letzter Zeit zur Einstellung gegenüber Sex innerhalb unserer Generation gelesen habe, möchten die Hälfte der befragten jungen Männer keine Beziehung mit einer Frau eingehen, die viele Sexualpartner hatte. Was auch immer mit „vielen“ gemeint ist.

Ich habe irgendwie das Gefühl, dieser Uber-Fahrer würde das auch so angeben. Knapp vierzig Prozent hingegen reize es, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen.

Der andere Teil der Befragten oder Doppelmoral?

Ich muss an die Gespräche denken, sowohl mit Männern als auch mit Frauen, die tatsächlich ein Problem damit hätten. Nicht nur, wenn ihre jeweiligen Partner:innen schon „viele“ andere Erfahrungen hatten. Sondern auch mit Menstruation, Sperma oder Oralsex oder eben allem, was nicht „rein“ ist.

Ist das jetzt also das Fazit: Den einen ist die „Reinheit“ und „Unerfahrenheit“ des Partners wichtig und die anderen gehen lieber joggen?

Berlin 2023: Tinder und Prüderie?

Manchmal wünsche ich mir, das Leben wäre ein französischer Nouvelle Vague-Film, dann hätte uns der Uber-Fahrer einfach machen lassen, weil er es selbst nötig hat und seine Affäre schon am anderen Ende der Stadt auf ihn wartet.

Doch wir leben nun mal 2023 in Berlin, an den Werbeflächen hängen Plakate, die das beste Match bei Tinder versprechen. Und als Frau einfach mal Lust auf Sex zu haben und das zu zeigen wird misstrauisch beäugt.

Überall kriegst du Sex, aber guten Sex, wirklich guten Sex, denke ich mir wenig später, während das Dopamin noch durch meine Adern fließt und ich erschöpft auf der Matratze liege: Das ist die Kunst. Sexpositives Reden hilft da wenig. Das kann man wohl nur erleben, wenn man ihn zulässt, den Sex.

Vielleicht habe ich aber auch einfach Glück, denke ich, schaue Arsen an und weiß schon, wie wir den Sonntag verbringen werden.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.