Set-Besuch beim ARD-Dreh: Romeo und Julia in der DDR
In der neuen Serie "Weißensee" trifft Linientreue auf Systemkritik. Volkspolizist Martin verliebt sich in die kritische Julia - 2010 im Ersten.
BERLIN taz | Annette Hess steht etwas abseits am Set, zwischen Beleuchtungselementen und Kamerastativen, und ist doch alles andere als unbeteiligt: Von Hess stammt das Drehbuch zu "Weißensee", der ARD-Serie, die seit Anfang September unter anderem hier, in einem alten Brandenburger Bauernhaus am Sacrower See, gedreht wird.
Das Thema DDR begleitet die gebürtige Hannoveranerin, die auch "Die Frau vom Checkpoint Charlie" geschrieben hat, schon länger: "Die DDR war widersprüchlich und unergründlich. Auf der einen Seite Geborgenheit, auf der anderen Verfolgung. Es ist genau diese faszinierende Ambivalenz, die mich interessiert und die so viel Stoff liefert."
In eben jenem Spannungsfeld zwischen menschlicher Kälte und kollektiver Fürsorge lässt die Autorin auch "Weißensee" spielen. Martin, der jüngste Sohn der Kupfers, verliebt sich im Ostberlin der frühen 80er-Jahre in Julia, die Tochter der Hausmanns.
Beide Familien könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Familie Kupfer ein Vorbild an Linientreue ist und sich im System des SED-Staats komfortabel eingerichtet hat – Vater Hans und der älteste Sohn Falk sind bei der Stasi, Martin arbeitet als Volkspolizist –, gehören die Hausmanns zu den Systemkritikern. Mutter Dunja verdient als Liedermacherin ihr Geld und wird vom MfS überwacht. Julia plant die Republikflucht und unterhält zwielichtige Westkontakte.
Durch alte und neue Liebe, Hass und Bruderzwist sind beide Familien schicksalhaft miteinander verbunden. Der Bezug auf Shakespeares "Romeo und Julia" ist nicht zu übersehen. "Ich wollte zeigen, wie Menschen versuchen, miteinander zu leben, mit der Grenze und den Umständen in der DDR. Mich hat das Alltagsleben interessiert", sagt Hess.
Um ausreichend Zeit für die Entwicklung der komplexen Charaktere zu haben, entschied sich Produzentin Regina Ziegler, anders als bei ihrem ZDF-Erfolg "Die Wölfe", nicht für einen Dreiteiler, sondern für das Serienformat. Als Vorbild diente hierfür die ZDF-Serie "Diese Drombuschs", die zwischen 1983 und 1994 in 39 Episoden die Geschichte einer Darmstädter Großfamilie erzählte: "Dieses Format wollte ich auf die DDR übertragen und damit deutsche Zeitgeschichte erzählen. Denn es ist die Verantwortung des Fernsehens, zu erinnern und zu berichten, wie es damals war", so Ziegler.
Als Regisseur verpflichtete die 65-Jährige wieder einmal Friedemann Fromm, mit dem sie bereits bei den Ost-Filmen "Die Wölfe" und "Jenseits der Mauer" zusammengearbeitet hat. Vor der Kamera steht ein bemerkenswert namhaftes Schauspielerensemble: Neben Hannah Herzsprung ("Das wahre Leben") und Florian Lukas ("Absolute Giganten") spielen Katrin Saß ("Good Bye, Lenin!") und Anna Loos ("Böseckendorf").
Und Ziegler hat mit ihrer Serie "Weißensee", die zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt 2010 gesendet werden soll, Großes vor. Für den Fall guter Quoten ist eine Fortsetzung der zunächst sechs Episoden angedacht: "Wir würden die Geschichte der beiden Familien gern bis zum Mauerfall und vielleicht auch darüber hinaus bis in die Gegenwart weitererzählen."
Entsprechende Verträge mit der ARD und dem Ensemble seien geschlossen. Nur das Drehbuch ist noch nicht geschrieben. Annette Hess arbeitet schon daran:"Ich habe einige Ideen, ob diese sich dann aber mit denen der ARD decken, bleibt abzuwarten."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten