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„Servus, jetzt sind wir gleich!“

■ Eine kleine Erinnerung an den Matrosenaufstand von Cattaro im Februar 1918

Maria Hirtenlehner

Hoch lebe die Freiheit! Morgen wird es losgehen, und wir werden es Euch zeigen!“ Das „Morgen“ war der 1.Februar 1918. Der Ort: der österreichisch-ungarische Kriegshafen Cattaro (heute Kotor, Südjugoslawien); die, denen es gezeigt werden sollte: die Befehlshaber Kapitäne und Offiziere der k.u.k. Kriegsschiffe. Und schließlich die, die losgehen wollten die Matrosen von Cattaro. Cattaro war nach Pola der zweitwichtigste Hafen der k.u.k. Kriegsmarine. Die Bucht von Cattaro (Bocche die Cattaro) besteht aus drei hintereinander liegenden Becken, die von steilen Bergen eingeschnürt sind und nur schmale Durchlässe zwischen den Becken freilassen also eine ideale Seefestung. Im Jänner 1918 ankerten hier 40 Einheiten der Kriegsmarine (Schlachtschiffe, Kreuzer, Torpedoboote) und deutsche U-Boote. Auf den 40 Schiffen waren nun schon jahrelang 6.000 Mann auf engstem Raum eingepfercht. Die Situation der Matrosen unterschied sich aber recht deutlich von der des Kommandostabes. Während die Matronen wenig und Schlechtes zu essen bekamen, sorgte die Offiziersküche noch immer für reich gedeckte Tische für die zu einem großen Teil aus adeligen Kreisen stammenden „Herren“. „Zwei Hunde vom Stabschefdes 'St. Georgs‘ kriegen täglich 4 Kilogramm Brot und meine Frau mit drei Kindern kriegt nur ein halbes Kilogramm„1 (Matrose). Während die Matrosen hungerten, versorgten die Offiziere noch ihre Angehörigen mit den Schiffsvorräten oder tauschten gegen Mehl und Zucker Polstermöbel ein. Sie brauchten ja nicht zu hungern. Einem Matrosen, der sich beschwerte, daß im Erbsengericht-Kessel mehr Käfer als Erbsen wären, wurde von höherer Stelle geantwortet „Der Mannschaftskoch soll die Erbsen auswaschen und die schwimmenden Käfer abschöpfen.„2 Geringste „Disziplin- und Gehorsamsverletzungen“ wurden mit Dunkelarrest, Bordarrest oder In-Eisen-Legen bestraft. Besonders haßten die Matrosen den Landdienst, der darin bestand, die Gärten und Sportanlagen der Offiziere zu betreuen und instandzuhalten. Daß die Friedenssehnsucht bei den Herren Kommandierenden daher weniger stark ausgeprägt war als bei ihren Untergebenen, leuchtet ein.

Seit Mitte Jänner gab es ein geheimes, multinational zusammengesetztes Matrosenkomitee, in dem immer wieder über Protestaktionen diskutiert wurde. Entstanden aus dem allgemeinen Bedürfnis der Mannschaft „Es soll der Krieg aufhören. Die Leute wollen Brot haben!„1 versuchte das Komitee, eine große Friedensdemonstration vorzubereiten. Als bekannt wurde, daß auch die Arsenalarbeiter von Cattaro streiken wollten, schien für Rasch (Mähren), Grabar (Istrien), Brnicevic (Dalmatien) und den anderen acht Mitgliedern des Komitees der Zeitpunkt günstiger denn je.

Am 1.Februar 1918 krachte auf dem Flaggschiff „St. Georg“ ein Kanonenschuß, es war das vereinbarte Signal für den Beginn der Matrosenaktion. Die Matrosen entwaffneten die Offiziere, stürmten die Waffenkammern, bewaffneten sich und hißten die rote Fahne - das Kommando des Schiffes war nun in der Hand der Matrosen. Auf den anderen Schiffen lief es ähnlich ab, allerdings dauerte es oft Stunden, bis das Schiff in der Gewalt der Matrosen war - nicht etwa, weil bis aufs Messer gekämpft wurde, sondern Angst und Zaudern im entscheidenden Moment die Aktionsbereitschaft der Matrosen hemmten. Den bedrängten Befehlshabern war auch sehr wohl klar, daß sie es nicht mit Matrosen a la Kronstadt zu tun hatten; sie taktierten und versuchten, die Matrosen oft wie kleine Buben wieder zur Räson zu bringen. So zum Beispiel erinnerte der Kommandant der „Kaiser Max“ die Mannschaft daran, daß es weit besser sei, „den Frieden, den seine Majestät schon lange anstrebt, in religiöser Hingebung von Gott zu erbitten und nicht den aus Rußland kommenden Verführungsversuchen der sozialdemokratischen jüdischen Führer zu folgen!“ - „Aber es gibt keinen Gott mehr!“ schrien die Matrosen; der Kommandant erwiderte, ob nicht jemand ins Kino gehen wolle - „Wir wollen kein Kino, wir wollen Frieden!„1 schrie darauf ein Matrose zurück. Immer wieder mußte daher der „harte Kern“ der revoltierenden Matrosen die Leidensgenossen auf den anderen Schiffen anfeuern und an das Besprochene erinnern. Die Bewegungsfreiheit der Offiziere wurde kaum eingeschränkt, was sie zu regem Informationsaustausch ausnutzten. Auf allen (rotbeflaggten) Schiffen wurden Matrosenkomitees gewählt, aus denen wiederum ein Zentrales Matrosenkomitee gebildet wurde.

Die große Hoffnung der Meuternden war, daß sich auch die Bevölkerung im Hinterland erheben würde. Zunächst wurde aber mit den Offizieren verhandelt. In der mit „Was wir wollen“ übertitelten Forderungsliste ist zu lesen: „Sofortiger allgemeiner Frieden ... Selbstbestimmungsrecht der Völker ... Demokratische Regierung ... Gleiche Kost für alle ...“ Die (Ex)kommandanten und das Kriegshafenkommando (die miteinander in dauernden geheimen Funkkontakt standen) waren aber nicht bereit, irgendwelche Konzessionen zu machen. Statt dessen wurden alle zur Verfügung stehenden Landtruppen mobilisiert (schon am ersten Tag waren in und um Cattaro 14 Kompanien), die 3.Schlachtschiffdivision von Pola nach Cattaro beordert und zwei deutsche U-Boote als „Aufpasser“ herangeholt.

Dementsprechend sicher und selbstbewußt wurden die Forderungen der Matrosen abgewiesen. Selbst auf die leicht zu erfüllende Forderung nach gleicher Kost für Mannschaft und Offiziere antwortete Kontreadmiral Hansa: „Einheitsküche für Stab und Mannschaft: 'Nein‘. Darüber entscheidet das Dienstreglement, welches von seiner Majestät sanktioniert wird.„1 Generaloberst Sarkotic (Oberbefehlshaber des Militärs) wollte, ehe er die meuternden Schiffe ziehen ließe, sie in den Grund bohren und „dann sie mit den Landbatterien zu Paaren treiben...„1

Der zweite Tag der Meuterei brach an. Den auf den umliegenden Bergen postierten Soldaten haben sich Bilder wie das folgende dargeboten: „Vom Beobachtungsstand auf dem Hügel der Landzunge konnte ich das ganze Schiff übersehen. Das Hinterdeck war ... dicht von Matrosen besetzt, einer hielt eine Rede, umdrängt von den Mannschaften, andere lagen auf dem Deck, ... vor den Schiffsluken hielten bewaffnete Matrosen Wache ...“ (3) Dieser Beobachter war der Sozialdemokrat Julius Braunthal, der zufällig als Soldat zu jenen Landtruppen gehörte, die die Bucht besetzen mußten. Er erkannte aber auch ganz klar, was in den nächsten Stunden über Erfolg oder Mißerfolg der Revolte entscheiden würde: „Wir (Braunthal und sein Freund) hofften, daß die meuternde Cattaro-Flotte die Taktik des meuternden 'Potemkin‘ nachahmen würde. Der 'Potemkin‘ hatte den Hafen von Odessa unverzüglich verlassen und war ins offene Meer gesegelt. Sollten die meuternden Schiffe im Hafen verbleiben, wie könnten sie sich der Strandbatterien und der Artillerie der Festungswerke erwehren?„3

Zu spät. Zwar wurde den Offizieren der Mannschaftskessel vorgesetzt und viele freuten sich über die Nichtigkeit der alten Rangordnung (Vierter-Klasse-Matrose Bores zu Maschinenbetriebsleiter Weißensteiner: „Servus, Du, jetzt sind wir gleich„1, aber wie es weitergehen sollte, wußte man nicht, sie schienen anscheinend in der Bocche eingekessel zu sein. Ohne Hilfe von außen sah man keine Chance mehr. Das Matrosenkomitee sandte je ein Telegramm an den Sozialdemokraten Victor Adler und an den ungarischen Oppositionsvorsitzenden Karolyi mit der Bitte um Intervention beim Kriegsministerium. Die Telegramme wurden abgefangen, denn es sollte kein Sterbenswörtlein nach außen dringen. Daß das Kriegshafenkommando beim geringsten Ausbrechversuch der Matrosen die Schiffe und das Leben der Besatzung nicht schonen würde, darüber herrschte kein Zweifel. Immerhin waren bereits zwei Matrosen vom Land aus erschossen worden.

Als Stunde um Stunde verging und sich an der Situation nichts änderte, fiel die Stimmung auf den Schiffen rasch um. Keine Erfolgsaussichten vor Augen, erstickte die Angst vor den immer gewisser werdenden Sanktionen die letzten Rebellionsgelüste. Die Offiziere begannen wieder verstärkt, auf die Mannschaft einzureden. Mannschaft um Mannschaft bat die Kapitäne und Offiziere, wieder in ihre angestammten Positionen zurückzukehren. Eine rote Fahne nach der anderen wurde vom Mast heruntergeholt. Der harte Kern um die 'St. Georg‘ blieb übrig. Als am frühen Morgen des 3.Februar die Schlachtschiffe von Pola am Horizont auftauchten, gab auch dieser auf. „Flagge streichen! Die Majorität hat entschieden!„1 rief Rasch und meldete sich dem Kontreadmiral als Gefangener. „Noch am selben Abend wurden Matrosen, manche in Ketten oder mit Stricken gefesselt ... in die alte Festung eskortiert. Ungefähr achthundert waren, wie wir später erfuhren, verhaftet, vier im ersten standgerichtlichen Verfahren zum Tode verurteilt ...„3 (J. Braunthal).

So bald wie möglich schickte J. Braunthal eine Nachricht über die gesehenen Ereignisse nach Wien, Am Abend des 11.Februar - unmittelbar nach Erhalt dieser Nachricht sprachen V. Adler und K. Seitz im Kriegsministerium vor.

Am Morgen desselben Tages waren Rasch, Grabar, Sisgoric und Brnicevic auf einem kleinen Friedhof bei Cattaro hingerichtet worden, nachdem vorher ein Gnadengesuch abgelehnt worden war. Die Gewehre bereits in Anschlag, schrie Rasch noch: „Das ist Justizmord! Es lebe die Freiheit!„1

Die österreichische Bevölkerung erfuhr erst am 9. Oktober 1918 von den „roten Matrosen“ von Cattaro.

1Aus Richard G. Plaschke: Cattaro - Prag. Revolte und Revolution, Graz/Köln 1963

2Bruno Frei, Die Matrosen von Cattaro, Berlin 1963

3Julius Braunthal, Auf der Suche nach dem Millenium, Wien 1964

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