Serienkolumne Die Couchreporter: Jede Ordnung kann verschwinden
Erschreckend aktuell: „The Handmaid’s Tale“ nach Margaret Atwoods Roman wurde als Serie beim US-Streamingdienst Hulu verfilmt.
V eränderungen geschehen nicht spontan, sondern vollziehen sich schleichend. Und meist hätte man die kleinen Veränderungen, die irgendwann in eine große münden, sehen können, hätte man nur genau hingesehen. Aber dann ist es längst zu spät.
Für Offred scheint das der Fall zu sein. Man hat ihr alles genommen: den Job, das Geld, Freiheiten, über die sie als Frau unter den neuen Gesetzen der totalitären und christlich fundamentalistischen Regierung von Gilead nicht mehr verfügen darf, den Mann (auf der Flucht erschossen), die Tochter (wo sie ist, weiß man nicht), sogar ihren Namen.
Sie ist jetzt nur noch „of Fred“, ein Ding, das eine Funktion erfüllt. Nämlich Kinder zu gebären, für eine fromme und im neuen Staate hoch angesehene Familie, die das aufgrund von Unfruchtbarkeit nicht mehr kann.
Offred sei „eine Blume, die darauf wartet, besamt zu werden“, wie man ihr unter Androhung von Elektroschocks erklärt – in dem wohl traurigsten und grausamsten Dreier der Filmgeschichte: zwischen den Beinen der Ehefrau liegend, der sie nun gehört, während der Herr des Hauses mechanisch den Gürtel löst und unter ihrem blutroten Rock in ein Loch rammelt, wie es unbeteiligter kaum möglich ist. Alles daran ist pures Leid, und zwar für alle Beteiligten.
Geschrieben in Deutschland
Margaret Atwoods dystopischer Roman „The Handmaid’s Tale“ („Der Report der Magd“), der diese Geschichte ursprünglich erzählt, stammt aus dem Jahr 1985, geschrieben unter dem Eindruck des Ost-West-Konflikts.
Die kanadische Autorin lebte damals in Westdeutschland, wie sie erst kürzlich in einem Interview mit der New York Times berichtete. Dass Atwood nun plötzlich Interviews in renommierten Zeitschriften geben darf – auch im SZ Magazin –, liegt am US-amerikanischen Streamingdienst Hulu. Der hat „The Handmaid’s Tale“ jetzt nah am Originaltext und deshalb ziemlich packend als Serie verfilmt. In Deutschland ist „The Handmaid’s Tale“ bislang nur illegal zu sehen. Die Ausstrahlungsrechte wurden hierzulande noch nicht verkauft.
Die Aufregung um die Serie, die trotzdem bereits durch die sozialen Netzwerke schwappt, ist berechtigt. Ganz plötzlich – in Zeiten, in denen ein ahnungsloser Populist im Weißen Haus regiert, dem Minderheitenrechte und das tatsächliche Wohlergehen von Menschen so egal sind, wie nur irgendwas – ist Atwoods Klassiker geradezu beängstigen aktuell.
„Wir sind nicht aufgewacht“
„Geboren 1939 und sozialisiert während des Zweiten Weltkriegs, war mir immer bewusst, dass jede noch so etablierte Ordnung über Nacht verschwinden kann“, sagt Atwood. Und ihre Protagonistin Offred, gespielt von Elisabeth Moss (Peggy Olson aus „Mad Men“), verstärkt die Mahnung: „Wir haben es geschehen lassen“ und „wir sind nicht aufgewacht“, sagt sie, als sie endlich den Willen findet, gegen das System aufbegehren.
Was die Serie überdeutlich zeigt, ist, dass es stets die Schwächsten einer Gesellschaft sind, die ein unmenschliches System am härtesten trifft. Aber auch, dass selbst diejenigen leiden, die glauben, davon zu profitieren.
Nolite te bastardes carborundorum lautet ein lateinisches Bonmot, dass Offreds Vorgängerin im Schrank hinterließ, bevor sie sich das Leben nahm; „Don’t let the bastards grind you down“.
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