Serie: Wie weiter, Germans? (7): Jetzt oder nie mehr
Was tun, wenn man nur eine Partei wählen will, die den Mut zum Regieren hat? Mein Freund hat Angela Merkel gewählt.
W ir haben jetzt zuhause bestimmt seit einem halben Jahr mit der Frage herumgeschissen, wen wir dieses Mal wählen. Familien-Beschlusslage ist, dass es sich nicht gut anfühlen, sondern einen politischen Unterschied in den Punkten sozialökologische Wirtschaft, Digitalpolitik, Europäertum und offene Gesellschaft möglich machen soll.
Mein Schwur: In einer Lage, die viel ernster ist, als sich dieser Wahlkampf anfühlt, wähle ich nur noch eine Partei, die auch wirklich den Mut hat, sich in der Regierung offen auf andere Teilgesellschaften einzulassen und mit ihnen um Kompromisse zu ringen. Damit kommt die Linkspartei nicht in Frage. Die Grünen nach der fatalen Verantwortungsverweigerung von 2013 im Grunde auch nicht.
Interessanterweise treffe ich auf gerechtigkeitsinteressierte Leute, die den Grünen nicht etwa vorwerfen, dass sie nichts tun gegen die verheerenden sozial-globalen Ungerechtigkeiten des fossilen Wirtschaftens. Sondern die sich sorgen, dass sie es in Koexistenz mit Andersdenkenden probieren.
„Ich weiß nicht, ob ich die Grünen wähle“, sagte mir einer, „denn ich will kein Jamaika.“
„Also wollen Sie lieber Schwarz-Gelb?“, fragte ich.
„Nein, ich will Rot-Rot-Grün“, antwortete er.
Und ich will, dass John Lennon und Rio Reiser auferstehen und am Mariannenplatz zusammen „Imagine“ spielen und zwar quotiert.
Rekapitulieren wir die Lage: Bei allem Wissen, dass am Sonntag erst gewählt werden muss, wird man davon ausgehen, dass der Job der Bundeskanzlerin vergeben ist.
Wie weiter, Germans? Über die entscheidenden Zukunftsfragen wird weder vor noch nach der Wahl gesprochen: Wir stellen sie. In der neuen Ausgabe von taz.FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik.
Die sicherste Wahl, eine Regierungsstimme abzugeben, ist also eine Merkel-Stimme. Einer meiner besten Freunde hat erstmals CDU gewählt. Er hat meinen Respekt.
Merkel oder nicht Merkel, das ist keine Spaltung zwischen konservativ und sozialdemokratisch, zwischen reich und arm, sondern zwischen denen, die das offene, emanzipierte, pro-europäische Deutschland bewahren wollen – und denen, die eine dramatische Auflösung jeder Ordnung beklagen.
Man kann gegen Merkel nicht auf der links-rechts-Ebene gewinnen, denn dort wird gar nicht gespielt. Schulz konnte sich daher nur als Vizekanzler bewerben. Ausdrücklich für Merkel spricht, dass sie auch in großen Teilen von Europa das Vertrauen genießt, den gefährdeten Laden zusammenhalten zu können.
Ich stehe aber auf keinen Fall für Schwarz-Gelb zur Verfügung. Erstens hat die Familienmatriarchin ultimativ entschieden, ein Lindner-Wähler komme ihr nicht an Tisch und Bett. Zweitens ist auch eine Stimme für Merkel eine, die Schwarz-Gelb wahrscheinlicher macht. Eine Stimme für die SPD ist dagegen eine Stimme für ein fossiles Schwarz-Rot. Je stärker die SPD, desto wahrscheinlicher, dass die Funktionäre die geplante weitere Juniorpartnerschaft durchbekommen und damit den Kopf nie mehr hoch. Dann läuft es auf die AfD als Oppositionsführer hinaus.
Wer das sieht und das sozialökologische und emanzipatorische Moment in einer von Merkel geführten Regierung stärken will, der müsste daran interessiert sein, dass die Grünen möglichst stark in diese Regierung kommen. Weil die Partei aber ist, wie sie ist, arbeiten Teile unbeirrt nicht daran, sondern an Schwarz-Gelb.
Die Logik: Die sind so schlimm, dass wir Deutschland lieber damit alleine lassen. Hallo? Gerade wenn neben der CSU auch noch eine Lindner-FDP dabei sein sollte, braucht es eine Kraft, die Merkel bei ökologischer Modernisierung, Flüchtlingspolitik und solidarischer EU in die andere Richtung schiebt.
Jetzt. Oder nie mehr.
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