■ Serie Denk-Mal, das Gedächtnis des Ortes: Teil 15: Triumph des Todes in Eichstätt
„Grimmiger Tilger aller Leute, schändlicher Ächter aller Wesen, schrecklicher Mörder aller Menschen, Ihr, Tod, Euch sei geflucht! Gott, Euer Schöpfer, hasse Euch, wachsendes Unheil hause bei Euch. Mißgeschick suche gewaltig Euch heim, gänzlich geschändet seid immer.“ So wütet der „Ackermann aus Böhmen“ gegen den Sensenmann, doch der Schnitter Tod antwortet gelassen und seiner historischen Aufgabe voll bewußt. Wir werden ihn später zu Wort kommen lassen.
Im bayrischen Eichstätt riecht es nach Weihrauch. So meint man zumindest, wenn man durch dieses Städtchen voller Kirchen und Klöster läuft, das einen Dom und seit 1.200 Jahren einen Bischof beherbergt. Hier gibt es ein Gotteshaus nebst diversen Kapellen pro tausend Seelen, katholische, versteht sich. Verläßt man die Innenstadt Richtung Westen und paßt nach zehn Minuten Fußweg ein wenig auf, entdeckt man die Michaelskapelle. Ein kleines, rechteckiges Gebäude, dem sich ein vergessener Friedhof anschließt: der Pestfriedhof.
Wenn vier Gespenster auftreten, wenn sich die Sonne verfinstert, wenn blutige Flammen oder Würmlein vom Himmel fallen oder Schwärme von Schmeißfliegen in unbewohnte Zimmer eindringen – dann kommt die Pest. Im Aberglauben. Kaum eine Erscheinung, die nicht irgendwann, in irgendeiner Gegend Europas, als Vorzeichen der Seuche gedeutet worden ist. Auch die Variationsbreite der Gestalten, in denen die Plage wohnen kann, ist ungeheuer: von der rabenschwarzen Wolke bis zum Nebelstreif, vom blauen Flämmchen bis zu kopflosen Männern, vom nackten Männlein bis zur weißen Frau.
Im ausgehenden Mittelalter unter dem Eindruck regelmäßig wiederkehrender Seuchenzüge und Massensterben stand den Menschen das letzte Stündlein ständig vor Augen. Der schwarze Tod, der zwischen 1347 und 1350 ganze Dörfer niedergemacht, schnell und leise fast ein Drittel der Bevölkerung ausgerottet hatte, prägte das Lebensgefühl. Der Triumph des Todes trieb die einen zu exzessivem Daseinsgenuß, die anderen zur völligen Abkehr von der irdischen Welt.
Als Pestilenz wurde nicht nur die Beulenpest bezeichnet, sondern jede Seuche, die sich schnell und mörderisch ausbreitete. Der Schnitter mit dem Stundenglas beschäftigte die beängstigte Phantasie, tauchte in der Kunst, in Sagen, im Volksmund auf. So in der Geschichte vom „Ackermann aus Böhmen“.
In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts schreckte eine große Teuerung die Menschen von Eichstätt. Die ausgezehrten Leiber wurden anfällig für Infektionen. 1627 folgte eine verheerende Seuche. Nachts, während die Notfeuer brannten, fuhren die Totenwagen durch die Stadt. Die Radfelgen mit Filz verkleidet, um den Schrecken nicht noch zu mehren. Auf einem Friedhof mitten in der Stadt durften die Pesttoten nicht beerdigt werden. Das war in Bayern bei Strafe des Galgens verboten.
So wurden die Leichen aufgeladen und draußen auf den Anger bei Sankt Michael gebracht. Dort hatte man ein Pestilenzloch ausgehoben, eine große Grube, in die man die Toten warf. Der erste war Pater Hyazinth Mai, ein Kapuziner.
Schon lange wird der Friedhof nicht mehr benutzt. Die halbhohe Mauer umschließt ein leicht ansteigendes grasiges Gelände. Grabhügel gibt es nicht. Still ist es zwischen den efeubewachsenen Linden, zwischen den zwei Dutzend angenagten Grabsteinen. Für diese Toten interessiert sich niemand mehr.
Wo früher das Holzkreuz oberhalb der Pestgrube stand, steht seit dem 18. Jahrhundert eine sandsteinerne Kreuzigungsgruppe. Ganz friedlich schaut Jesus von seinem Kreuz hinunter, als würde ihn der Tod nicht schrecken.
Und der Tod antwortet dem Ackermann: „Wir sind Gottes Werkzeug, der Herre Tod, ein recht wirkender Mäher. Unsere Sense geht ihren Weg. Weiß, schwarz, rot, braun, grün, blau, grau, gelb und allerlei Glanzblumen hauet sie vor sich nieder, ihres Glanzes, ihrer Kraft, ihrer Tugend ungeachtet. Da hilft dem Veilchen nicht seine schöne Farbe, sein reicher Duft, sein wohlschmeckender Saft. Sie, das ist Gerechtigkeit! Bascha Mika
Am kommenden Dienstag: die Antifaschistin Elisabeth Abegg
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