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Serie (2) Europas Überraschungsteams: Bei Celta Vigo wagen sie Unglaubliches. Sie zwingen Barça in eine offene Feldschlacht – und gewinnen. Das bringt sie auf Platz vier der TabelleWie einst beim Zaren

Aus Barcelona Florian Haupt

Cineasten kennen Vigo vielleicht aus „Montags in der Sonne”. Javier Bardem spielt einen fatalistischen Aufschneider, der seinen ebenfalls langzeitarbeitslosen Kumpels die Welt erklärt. Früher malochten sie in der Schiffswerft, jetzt kämpfen sie um die letzte Würde, und die Sonne scheint in Wirklichkeit nur selten in der galicischen Hafenstadt, die sich als der filmgewordene Bruch aller Spanien-Klischees präsentiert: deprimiert und melancholisch.

In diesem Vigo steht auch das baufällige Estadio Balaídos, seit 1928 die Heimat des Real Club Celta. Der Besuch ist ästhetisch wertvoll, auch wenn der Verein einen ähnlichen Strukturwandel zu bewältigen hatte wie seine Stadt: zweite Liga, Konkursverfahren – die späten 90er Jahre, als die Himmelblauen um „Zar” Aleksandr Mostovoi den elegantesten Ball im Land spielten und immer erst gegen Saisonende in ihrer Schönheit starben, schienen ein verlorenes Paradies. Doch jetzt ist Celta wieder da, ohne die Schulden, mit nur 37 Millionen Euro Etat und 22,5 Millionen Gehaltsobergrenze, kaum ein Zwanzigstel von Real Madrid oder Barcelona, aber mit so aufregendem Spiel wie damals. Celta – „die beste Nachricht seit vielen Jahren im spanischen Fußball“, wie der renommierte Santiago Segurola in der Marca schreibt.

Vierter an Weihnachten, nur zwei Punkte hinter Real und vier hinter Barcelona, ist die Mannschaft des argentinischen Trainers Eduardo Berizzo, die an guten Abenden das Herz zum Rasen bringen kann – so kompromisslos ist ihr Tempo, so unbedingt will sie den Ball, antizipiert, kombiniert, lässt dem Gegner nicht eine Sekunde Ruhe. Vier Gelb-Rote Karten hat sie sich so auch schon eingehandelt, nach denen sie natürlich trotzdem weiter angriff. Schwierig wird es dann nur mit Berizzos basketballartiger 1:1-Manndeckung über den ganzen Platz, einer Spezialität des Hauses.

Berizzo folgt den Ideen von Trainerguru Marcelo Bielsa, dem er bei der chilenischen Nationalelf als Assistent diente. Wie sein Maestro verfolgt er die Spiele bevorzugt im Trainingsanzug; sehr untypisch in Spanien. Wie Bielsa ist er absolut furchtlos. „Celta ist eine der unterhaltsamsten Mannschaften Europas“, urteilte sein Vorgänger Luis Enrique. Am Tag danach kassierte der jetzige Barça-Coach in Balaídos ein 1:4, die höchste Ligapleite der Katalanen seit acht Jahren. Berizzo hatte sich getraut, was sich auf der ganzen Welt niemand traut – und Barça in eine offene Feldschlacht verwickelt.

Celta ist „die beste Nachricht seit vielen Jahren im spanischen Fußball“, schreibt die „Marca“

Für so kühne Unterfangen braucht es natürlich auch exzellente Fußballer. Wie Augusto Fernández, den Berizzo vom Flügelstürmer zu einem der besten Sechser der Liga umfunktio­nierte. Oder das so energische wie technisch brillante Sturmtrio mit Nolito, Fabián Orellana und Iago Aspas. Erstaunlich, für wie wenig Geld ein so talentiertes Team zusammenkam. Erwartbar hingegen, dass schon an ihm gefleddert wird. Kapitän Fernández steht kurz vor einem Wechsel zu Atlético, womöglich wird er die nächste Partie am 30. Dezember gegen Athletic Bilbao nicht mehr bestreiten. Dann wird außerdem der verletzte Nolito fehlen. Dass der spanische Nationalspieler angesichts des kolportieren Interesses von Arsenal sowie seines Ausbildungsklubs Barcelona noch mal für Celta kickt, ist auch noch nicht notariell beglaubigt.

In Vigo genießen sie daher lieber den Augenblick. Den Fantasiefußballer Nolito, Meister der Schlenzer, der kürzlich die Genialität besaß, sich im Moment seiner Verletzung noch die fünfte Gelbe Karte einzuhandeln. Ein Verführer mit seinem Spiel und Romantiker im Stil mit altmodischer Tolle und dem Gruß in den Himmel nach jedem Tor, an seinen Großvater, einen Seemann, der ihn aus ärmlichen Verhältnissen zum Fußball brachte. Nolito, 29, fand erst spät sein Glück, er fand es in Vigo; und bislang schwört er seinem Biotop die Treue.

Niemand jedoch bewegt die Fans so wie Sturmpartner Aspas. Kein Wunder, der 28-Jährige kommt aus einem nahen Seefahrerort, war schon Balljunge bei Celta und hat den Klub gleich zweimal gerettet. Das erste Mal in seinem ersten Heimspiel: Ohne zwei späte Aspas-Tore ­gegen Alavés wären 2009 mit dem Abstieg in die dritte Liga endgültig alle Lichter ausgegangen. Wie so viele Galicier in der Geschichte wanderte er aus, wie wenige kam er zurück. Liverpool und Sevilla waren nichts für ihn. Jetzt trickst er wieder zu Hause und will nie wieder gehen.

In dieser Serie wurde bereits die Erfolgsgeschichte von SCO Angers erzählt. Demnächst sind noch Leicester City und FK Rostow dran.

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