■ Serbien: Die Wut auf die Nato verdeckt alle anderen Widersprüche: Keine Opposition, nirgends
Jugoslawien wird seit zwei Wochen systematisch zerstört. Längst bombardiert die Nato nicht nur militärische Objekte, Phase eins, sondern auch die Industrie, Phase zwei, und die Infrastruktur des Landes, Phase drei. Wenn es das Ziel der Nato war, so die humanitäre Katastrophe im Kosovo aufzuhalten und Milošević' Machtposition zu schwächen – dann ist das bisher absolut schiefgegangen. Die humanitäre Katastrophe im Kosovo war nie so furchterregend, das Regime Milošević nie weniger innenpolitisch bedroht. Man muß sich fragen, ob die Nato es nun mit Bodentruppen versucht, Phase vier, und wenn alles nichts nützt, massiv zivile Objekte anpeilt, und nicht nur nebenbei, wie bis jetzt, Phase fünf.
Es ist faszinierend, wie falsch die Nato-Strategen die Entwicklung in Serbien eingeschätzt haben. Die erste Rakete hat praktisch die Opposition in Serbien ausgelöscht. Das Regime hat nicht einmal Druck dazu benötigt, denn ausnahmslos alle Serben fühlen sich zu Unrecht angegriffen.
Es gibt nicht einmal die geringsten Anzeichen für eventuelle Proteste gegen Milošević oder gar einen Militärputsch. Denn wie immer man es auch darstellt, wie kompliziert die Situation auch sein mag – im Endeffekt hat die Nato ein souveränes Land, das kein anderes Land bedroht hat, ohne Kriegserklärung angegriffen. Alles andere erscheint in Jugoslawien im Moment nebensächlich.
Nach zwei Wochen Krieg mit der Nato geht es in Serbien nicht mehr um Milošević. Die Proteste der Bevölkerung sind keine Unterstützung für Milošević' Regime, sondern eine Demonstration gegen die Nato. Und solange Raketen und Marschflugkörper Serbien zerstören, wird sich niemand gegen Milošević auflehnen. Dafür ist der Haß auf die Nato zu groß. Wie es ein bekannter Belgrader Fotograf formulierte: „Wenn ich wählen muß, gegen unseren einheimischen Diktator zu kämpfen oder gegen die skandalöse, zerstörerische Diktatur der Nato, werde ich natürlich zuerst gegen den Außenfeind kämpfen.“
Selbst wenn der Krieg einmal vorbei ist – der Glauben der Serben an die westliche, europäische Demokratie ist für lange Zeit zerstört. Das stärkste Argument der serbischen Opposition war es, sich die EU als Vorbild zu nehmen und so das serbische Regime zu bekämpfen. Nun aber hat, vom serbischen Standpunkt aus gesehen, Europa seine eigenen Prinzipien verraten, das Völkerrecht mißachtet und den Sinn der UNO zerstört. Nach dieser ziellosen Zerstörung sind die Serben sich selbst überlassen. Andrej Ivanji
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen