■ Serbien: Der Einfallsreichtum Zajednos ist faszinierend: Mit viel Spaß an der Freud'
„Die Blockade blockieren“ lautet die Devise des serbischen Oppositionsbündnisses Zajedno. Das klingt dialektisch. Und in der Tat ist es nicht einfach, der Konfrontation mit einer schwerbewaffneten und kampfbereiten Miliz aus dem Wege zu gehen. Und sich dennoch in seinen Aktionen nicht einschränken zu lassen. Aber in Belgrad funktioniert es.
Am serbischen Weihnachtstag eine Prozession zur Kirche des Heiligen Sava. Das kann doch selbst der Unfrömmste unter Jugoslawiens Exkommunisten nicht verweigern. An Silvester eine Straßenfeier. Das Neue Jahr soll schließlich besser werden als das alte. Und darauf wird man sich ja noch freuen dürfen. Das Ganze aus Spaß an der Freud' am orthodoxen Neujahrsfest noch einmal. Und dann noch ein paarmal „Operation Schnecke“. Per Autokorso in Fünf-Kilometer-Geschwindigkeit durch die Altstadt. Das schafft ein veritables Verkehrschaos, zumal dann, wenn bei dieser Geschwindigkeit auch noch unversehens eine „Panne“ eintritt. Da bleiben auch die Busse mit den Milizionären lieber gleich in der Kaserne. Nicht zu vergessen: Der Chor aus Zehntausenden Trillerpfeifen gegen die ach so „taube“ Regierung. Und Klingelglöckchen oder Trompeten, damit der alte Laden endlich aufwacht. Taschenlampensignale aus dem 13. Stock als Zeichen der Solidarität. Oder auch schlichtes An- und Ausschalten der Deckenbeleuchtung. Schon die spaßigsten Formen des Protestes bringen die Apparatschiks des Regimes gehörig ins Schwitzen. Da kommt berechtigte Schadenfreude auf. Und manch Belgrader reibt sich vergnügt die Hände.
Die politische Ohnmacht des Regimes bloßzustellen, ist eine Sache. Es existentiell unter Druck zu setzen, freilich eine andere. Ein Generalstreik, wie ihn Zajedno-Führer Drasković an Weihnachten forderte, ist noch ein Hirngespinst. Auf die Arbeiter hat Zajedno eben noch keinen Einfluß. Die Stromrechnungen und Fernsehgebühren nicht mehr zu bezahlen, wäre ja bei uns schon populär, um wieviel mehr ist es in Belgrad, wo das staatliche Fernsehen die Proteste schlicht verschweigt oder auf übelste Weise denunziert. Zeitungen der Opposition gibt es in Belgrad ja längst. Jetzt ein landesweites Kommunikationsnetz aufzubauen, um das Medienmonopol des Regimes bei den elektronischen Medien zu durchbrechen, ist der konsequente nächste Schritt. Ansonsten lassen wir uns einfach mal überraschen. Morgen ist schließlich der 50. Protesttag. Georg Baltissen
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