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Sensation: FDP will weiter mit der Union regieren

■ Partei des Privateigentums und der Leistungsträger / Kritik von Hamm-Brücher

Rostock (taz) – „Je ne regrette rien“: Ich bereue nichts und verspreche, alles wieder zu tun. So lautete gestern das Leitmotiv der Rede, mit der FDP-Chef Klaus Kinkel den Parteitag in Rostock eröffnete und die Liberalen auf den Bundestagswahlkampf einzuschwören versuchte. Die eigenmächtig vorgezogene Koalitionsaussage zugunsten der Union, die von den Delegierten gestern mit gewaltiger Mehrheit bestätigt wurde (660 Stimmen zu 16 bei 20 Enthaltungen), sei ebenso richtig wie die Festlegung auf Unionskandidat Herzog, die Kinkel im nachhinein als Beleg für „Eigenständigkeit“ diente. Nur eines bereute Kinkel: Die inzwischen korrigierte Festschreibung der FDP als Partei der „Besserverdienenden“ im Programmentwurf „war nicht gut“.

Im Spagat zwischen Regierungstreue und Eigenständigkeit entschied sich Kinkel für die Stärkung der Koalition und gegen die Stärkung des FDP-Profils. Dem Versprechen „Wir waren kein bequemer Koalitionspartner und werden auch in Zukunft unbequem sein“ folgten nur wenige Belege. Die Stoßrichtung der Grundsatzrede zielte auf SPD und Bündnisgrüne. So schlimm wie Rot- Grün wäre laut Kinkel nur eine Große Koalition. Die FDP also unersetzlich, und wer's nicht glaubt, dem sollen starke Worte helfen: „Wir werden all denen, die uns für überflüssig halten, zeigen, was eine Harke ist.“

Ein klares Profil hat die FDP nach der Rede ihres Vorsitzenden vor allem auf einem Feld: sie bietet sich offen als Interessenvertreter einer auf Einkommen fixierten Leistungselite an. „Die FDP ist die Partei des Privateigentums“, heißt das bei Kinkel, sie „ist und bleibt die Partei der Leistung, der Leistungsträger“ und vor allem des Mittelstandes. Diesem versprach Kinkel eine ganze Reihe von Wohltaten.

In der Koalition will die FDP nach dem Worten ihres Parteichefs aufpassen, wenn der Unionstanker „die Mitte zu verlassen droht“. Die Profilierungsfelder des kleinen Partners in der Regierung sind die Forderung nach Senkung der Staatsquote und der Steuerbelastung, der Ausbau der Forschungs- und Bildungspolitik, die Förderung von „Zukunftsindustrien“ und „Wachstumsbranchen“. Akzente setzte Kinkel allerdings auch in der Ausländerpolitik, wo er den „hartnäckigen Widerstand der Union gegen eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts und gegen ein Einwanderungskontrollgesetz“ kritisierte.

Einen Kontrapunkt zum Parteichef setzte überraschenderweise Hildegard Hamm-Brücher. Die im dritten Wahlgang zurückgezogene Kandidatin der FDP in der Bundespräsidentenwahl kritisierte indirekt die frühe Koalitionsaussage und offen den vorliegenden Programmentwurf. Hamm-Brücher warnte vor den „schauerlichen Gespenstern einer schauerlichen Vergangenheit, die allenthalben nun auch offen und schamlos ihr Unwesen treiben“. In der Tageshektik werde kaum noch wahrgenommen, daß in jüngster Zeit mehr Friedhöfe geschändet worden seien als während der ganzen Weimarer Republik. Der Kampf gegen solche rechtsradikale Erscheinungsformen gehöre zum „umfassenden Auftrag“ des Liberalismus.

Parteichef Kinkel grenzte sich gegen die Law-and-order-Parolen und den Ruf nach schärferen Gesetzen seitens der Union ab und verurteilte Attacken auf die Pressefreiheit. Die Diskussion über Rechtspolitik soll nach dem Willen der Parteitagsregie in Rostock nicht zum beherrschenden Thema werden. Um den „Großen Lauschangriff“ wird es trotzdem zum Streit kommen. Fünf Landesverbände haben angekündigt, gemeinsam mit Fraktionschef Hermann Otto Solms für die Wanzenattacke zu werben. Auf dem vergangenen Parteitag hatte sich eine Zweidrittelmehrheit gegen den „Großen Lauschangriff“ ausgesprochen. Hans Monath

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