: Senats-Zickzack bei Asyl-Frage
■ Hin und her ging es im senatsinternen Streit um die Bremer Asyl-Politik – am Ende sehen sich die SPD-Senatoren von ihrer Partei verlassen
„Unerträglich“ sagt der Bremer SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning, sei die Vorstellung, daß es zu einer Spaltung Deutschlands in der Asyl-Frage zwischen SPD-Ländern und CDU-Ländern kommt. Wenn es eklatante rechtlich festgeschriebene Unterschiede zwischen einem SPD-Asyl und einem CDU-Asyl gäbe, wäre das Thema wieder Gegenstand ganz vordergründiger öffentlicher Stimmungen – und möglicherweise neuer Nährstoff für Rechtsradikale, meint Kröning. Die SPD müsse genau überlegen, wie sie den Streit mit der CDU beim Thema Asyl gestaltet – nicht nur wegen der schwierigen Thematik der Kriminalitätsvorbeugung, auch um den „erreichten Stand der Integration“ wenigstens zu halten. Kurz: Bremen sollte ein Interesse an einer einheitlichen Regelung haben.
Wahlkampf-Gesichtspunkte in den Ländern
Zuständig für die Bonner SPD-Politik ist im Innenausschuß aber nicht Kröning, sondern die Abgeordnete Cornelie Sonntag. „Eine einvernehmliche Regelung sehe ich nicht“, lautet ihre Prognose. Sowieso könne sich die SPD rein rechtlich nicht, auch nicht über den Bundesrat, gegen Kanther und die harte CDU-Linie durchsetzen, die der Türkei entgegenkommen und damit das Kurden-Problem in der Bundesrepublik per Abschiebung lösen will. Die SPD-Politikerin Sonntag bringt dagegen das Kurden-Thema so auf den Kernpunkt: „Wenn diejenigen, die sich zu ihrer ethnischen Zugehörigkeit bekennen, verfolgt werden, handelt es sich für uns auch um Gruppenverfolgung. Eine ethnische Gruppe besteht nicht nur aus Leuten, die den Mund halten.“ Für die Haltung der Länder, so die SPD-Politikerin, sind neben den Grundsätzen vor allem nur mittelbar sachliche Erwägungen entscheidend wie die Anzahl der abzuschiebenden Häftlinge und die Termine bevorstehender Wahlkämpfe.
Der doppelte Scherf
Die Regierung eines kleinen Städtestaates, die gleichzeitig die unmittelbare kommunalpolitische Verantwortung für Kriminalitätsbekämpfung, Sozialhilfe und Ausländerpolizei hat, ist mit dem komplexen Thema offensichtlich in jeder Hinsicht überfordert. Die Vorgänge im Bremer Senat in der vergangenen Woche lassen das ganze Ausmaß des Durcheinanders erkennen. Ein Beispiel: Bildungs- und Justizsenator Henning Scherf.
Scherf ist Vorstandsmitglied jener Kirchengemeinde, die der Familie Soki „Kirchenasyl“ gewährt hat. Als Justizsenator ist er der Chef der Staatsanwaltschaft, die gegen Pfarrer wegen Kirchenasyl ermittelt. Als guter Mensch unterschreibt Scherf auf der Straße die Unteschriftenliste der Sri-Lanka-Initiative, mit der die SPD-Länder zu einer offensiven Politik gegen die alleinige Zuständigkeit des CDU-Innenministers Kanther in Abschiebefragen aufgefordert werden: Die SPD soll, mit Scherfs Unterschrift, die Reform des 54 Ausländergesetz betreiben. Im Senat schweigt Scherf, als der Abschiebestopp für Sri Lanka aufgehoben wird.
Als die grüne Senatorin Trüpel dafür wirbt, daß Bremen sich den anderen SPD-regierten Ländern in der Kampagne um den 54 anschließt, schweigt Scherf auch. Die SPD-Senatsmitglieder waren schließlich einhellig dafür, daß Bremen sich der Bonner SPD-Politik nicht anschließt.
Der doppelte van Nispen
Der zuständige Innensenator Friedrich van Nispen, der öffentlich die hundertprozentige Treue zum CDU-Innenminister wie ein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ vertritt, kann ganz intern doch anders und setzt sich hin und wieder für einen Asylbewerber in erstaunlicher Weise ein. Die Behörden sind aber keineswegs, so beklagen Mitarbeiter, davor gefeit, daß es dann doch hin und wieder zu einem völlig unvermittelten Schwenk um 180 Grad in der Haltung des Innensenators kommen kann.
In aller Stille hat van Nispen offenbar die seit 1992 geltende Regelung für die Abschiebung von Asylbewerbern, die beim Drogenhandel erwischt werden, geändert. Für sie, so das gängige Recht, gilt der rechtssstaatliche Grundsatz nicht, daß als unschuldig zu gelten hat, wer nicht letztinstanzlich verurteilt ist.
Früher konnte es sein, daß ein beim kleinen Drogenhandel erwischter Asylbewerber jahrelang während des Verfahrens durch alle Instanzen weiter hier leben konnte und erst nach der Verurteilung abgeschoben wurde. Die Zahl der erwischten und dann abgeschobenen Drogenhändler unter den Asylbewerbern in Bremen liegt seit drei Jahren etwa bei 100 – jede Woche also zwei im Durchschnitt.
Nach dem Selbstmordversuch eines minderjährigen Asylbewerbers hatte van Nispen aber einen Erlaß unterschrieben, nach dem in Einzelfällen doch nicht abgeschoben werden müsse. Ermessens-Gesichtspunkte könnten das Alter, die Menge der Drogen, das Bestreiten der Straftat und das Einlegen einer Verfassungsbeschwerde sein.
Ausgerechnet der Staatsrat des Justizsenators Scherf hat in einem geharnischten internen Brief deswegen nun den Innensenator kritisiert: Wenig in der Tasche haben die meisten kleinen Drogendealer, bestreiten tun sie alle und nach Karlsruhe schreiben kann jeder halbwegs gute Rechtsanwalt – dieser Erlaß sei so, daß sich „die bisherige Praxis einer konsequenten Abschiebung kurdischer Kleindealer sich nich mehr aufrecht erhalten“ lasse. Zudem seien die Staatsanwaltschaften, wenn sie gegen alle diese Kleindealer bis zum Schluß ermitteln müßten, vom Aufwand her überfordert.
Gerade das konsequente Vorgehen gegen den kleinen Drogenhandel aber, unterstrich van Nispen daraufhin in einem Brief an alle Fraktionsvorstände, sei sein Verdienst. Schon „wegen der zur Verfügung stehenden Sicherheitserkenntnisse“ müsse weiterhin konsequent und hart vorgegangen werden. Bremen sei gut beraten, keine „Alleingänge“ bei Abschiebestopp vorzunehmen, zumal rechtlich der Bundesinnenminister zuständig sei.
Bremer Senat gegen Bremer und Bonner SPD
Nach der vergangenen Woche kann aber von Alleingängen einzelner Bundesländer gar nicht mehr die Rede sein. Mehrere SPD-regierte Bundesländer haben den Abschiebestop für Kurden verlängert. Außerdem werden sich die SPD-SentorInnen überlegen müssen, ob sie nach dem Votum des SPD-Landesvorstandes weiter ihrer Meinung vom vergangenen Dienstag anhängen wollen, daß sich nämlich Bremen vorerst nicht an der Kampagne der SPD gegen die Allzuständigkeit des Innenministers Kanther bzgl. Abschiebestopps beteiligen sollte. K.W.
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