: Semantiker unter sich
■ Zur Debatte über Steuererhöhungen oder Sonderabgaben KOMMENTARE
Wirtschafts- und Finanzpolitik ist vor allem ein Streit um die semantische Hegemonie. Karl Schiller, einst Minister in der sozialliberalen Koalition, war da stilbildend. Seine auch jetzt noch erfolgreiche Metaphorik von der „konzertierten Aktion“ und davon, daß „die Pferde wieder saufen müssen“ brachte die sprachliche Alchemie, mit der dann die praktische Politik gemacht werden konnte. Aber Schiller hatte wenigstens eine Politik, die er vermarktete. Jetzt im Wahlkampf, im Streit um die Kosten der Einheit und um die Steuererhöhung, wird wieder um die Begriffs- Vorherrschaft gekämpft. Wahlkampfzeiten sind Blütezeiten der Semantik, gewiß. Aber selten sind Politiker so unverschämt, unverblümt und durchsichtig von der Politik in die Semantik übergewechselt; oder anders ausgedrückt: Selten waren Politiker bereit, so hemmungslos bereit, die Leute für dumm zu verkaufen, nur um im Kampf um die herrschende Tonart zu obsiegen. Der von Lafontaine so dramatisch hochgejubelte Gegensatz zwischen grenzenloser Staatsverschuldung durch die CDU und der Notwendigkeit der Steuererhöhung besteht gar nicht, zumindest nicht als Prinzipienstreit. Selbstverständlich plant die CDU Steuererhöhungen, und der Streit geht um den Zeitpunkt und die Wortwahl. Der US-Präsident hat es vorgemacht: Er will keine Steuererhöhung, wohl aber die Erhöhung der Staatseinnahmen. Kohl und Waigel wollen keine Steuererhöhung, wohl aber Abgaben, CO2-Abgaben und Deponieabgaben zum Beispiel. Wenn jetzt Lafontaine triumphiert, die sogenannte „Steuerlüge“ der CDU sei aufgedeckt, dann setzt er die semantische Orgie nur fort. Steuerhöhung oder Sonderabgaben — die CDU weiß natürlich auch, daß sie die Einheitskosten nicht über den Kapitalmarkt decken kann, ohne durch steigende Zinsen ihre Klientel zu gefährden. Der wirkliche Streit geht darum, welcher Teil der Bevölkerung mehr zu bezahlen hat. Und das wird selbstverständlich nach der Wahl entschieden. Auch die SPD, die genau weiß, daß sie den horrenden Finanzierungsbedarf nicht über eine Ergänzungsabgabe der Besserverdienenden befriedigen kann, sondern auch die Masseneinkommen belasten muß, hat wenig Lust, ins Konkrete zu gehen.
Hat Lafontaine recht, sich bestätigt zu sehen, nachdem nun Kohl und Waigel jetzt von den Sonderabgaben gesprochen haben? Im Grunde eine unwichtige Frage. Denn Kohl und Waigel haben nichts anders gemacht, als kurz vor dem Wahlabend den großen Krieg der Lobbies und Verbände zu eröffnen. Offenbar hatten sie den Eindruck, die Semantik läßt sich nicht mehr recht kontrollieren. Und schon melden sie sich, wie zu erwarten: Als erstes lehnt der Beamtenbund ein „Sonderopfer“ der Beamten für die Einheit ab, um gleich von der Gewerkschaft gefolgt zu werden, die selbstverständlich auch nichts sonderopfern will und statt dessen — wie überraschend — eine Ergänzungsabgabe will. Wahrscheinlich dauert es nur noch Stunden, bis auch der Unternehmerverband vor einem Sonderopfer warnt. Der Kampf um die semantische Hegemonie ist, wie zu erwarten, ins wilde Handgemenge der Lobbyisten umgeschlagen. Und da zählt, wer die kräftigeren Waden hat für die Tritte unter dem (grünen) Tisch. Gemessen an der Tatsache, daß die ehemaligen Länder der DDR wirklich Solidarität brauchen und daß die Leute bereit sind, für wirtschaftliche Reformen in den fünf neuen Ländern auch zu zahlen, wenn endlich Klartext geredet würde, ist dieser Wahlkampf zwischen Semantologie und Lobbyismus eine Zumutung. Eins ist klar: Die Bedürfnisse, Hoffnungen und Interessen der ehemaligen DDRler zählen überhaupt nicht. Im Gegenteil, alle Lobbyisten, von der Gewerkschaft bis zu den Unternehmern, werden in einem einig sein: daß sich die Mitmacher des Realsozialismus gefälligst hinten anzustellen haben. Klaus Hartung
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