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Selten sentimental

Auf den Hund kam keiner: Finale mit Abschiedsgeschenken der Ehemaligen auf Kampnagel  ■ Von Irmela Kästner

Endstation Staatstheater. Was für den Hund das Tierheim ist, ist für den ausgewachsenen Regisseur die staatliche Bühne – Auffanglager für ausgestoßene, weil groß, anspruchsvoll und somit lästig gewordene Gefährten. Kühe hätten es da leichter; die landen an der Fleischtheke.

Forever Young lautete die Botschaft, die Nicolas Stemann, ein ehemaliger Junger Hund und heute – auch am Staatstheater – erfolgreicher Regisseur, dem Noch-Kampnagel-Intendanten Res Bosshart zum Abschied des diesjährigen Junge Hunde-Festivals auf den Weg gab. Doch so richtig auf den Hund gekommen ist bislang wohl niemand der 33 Geschenkeüberbringer, allesamt Ex-Junge Hunde und mit verantwortlich dafür, dass das gleichnamige Nachwuchsfestival während der vergangenen sieben Jahre zum Markenzeichen von Kampnagel geworden ist.

„Ich will Theater für junge Leute und für diejenigen, die jung geblieben sind, zeigen“, hat Res Bosshart einmal gesagt. Irgendwann schien dann auf Kampnagel ganzjährig Junge Hunde-Zeit zu sein. Da ist es nur sinnig, mit dem Festival Junge Hunde 2001 die Ära Bosshart zu beschließen.

Es wurde ein gelungenes Abschiedsfest, das mit dem Enthusiasmus aller Beteiligten und der finanziellen Unterstützung der hamburgischen Kulturstiftung zustande kam. Kampnagels Technik sorgte dabei wieder einmal für einen reibungslosen Ablauf auf drei Bühnenpodesten und einer Videowand. Originell, witzig, manchmal gar bissig, sehr persönlich, doch nicht peinlich und selten sentimental fielen die Gaben aus.

Der Hund war dabei immer wieder Thema. Hygiene Heute führte eine Dressur mit putzigen echten Vierbeinern vor. „Bloß nicht wachsen“, seufzte und stammelte Verena Unbehaun tierisch lustvoll in Matthias von Hartz da heim, während dura lux Dias von Kampnagels Urzustand aus „alternativen“ Theaterzeiten mit verfallener Fundushalle zeigte.

Rückblicke auf Junge Hunde-Erfolge riefen erste Schritte mittlerweile anerkannter Regisseurinnen in Erinnerung. Doch zeigten die Szenen aus den Sechs hässlichen Töchtern von Ute Rauwald (inzwischen fest engagiert am Hamburger Schauspielhaus) und aus Sandra Strunz' (inszenierte zuletzt am Schauspiel Hannover) Meine erste Frau hieß Zwieback – Das Leben des Armand Schulthess – dass sich die beiden durchaus treu geblieben sind. Strunz schickte wieder die wundervoll skurrile Schweizer Schauspielerin Irene Eichberger ins Feld, die außerdem mit Judith Wilske in Why do you shop? für ihren Landsmann Boss-hart in waschechtem „Schwietzerdütsch“ stoisch über richtiges Einkaufen dozierte. Urkomisch, auch wenn man ohne Wilskes Übersetzung kein Wort verstanden hätte.

Die Tänzer und Choreografen hatten es dagegen schwer auf den Podesten. Fiona Gordon kämpfte hart am Abgrund in Jan Puschs hochdynamischer Solochoreografie Please help yourself. Mit verblüffend einfachem Konzept und bestechender Wirkung behalf sich Susanne Brian und ließ vor laufender Stoppuhr Wasser aus einer Gießkanne in eine Schüssel plätschern. Drei Minuten, genaues Timing: Mit dem Zeiger auf der Zwölf war die Kanne leer.

Andere, wie Stina K. Bollmann, schalteten gelungen auf den Tanz virtueller Körper und Bilder um. Und Jochen Roller ließ zwei Pinguinfiguren durch Ferienlandschaften um die Welt reisen. Um Mittel und Wege war hier niemand verlegen, sind sie auch noch so simpel. Auch die anschließende Party wurde nicht zum Abgesang.

Denn irgendwie war an diesem Abend deutlich zu spüren, dass, trotz anfänglicher Schwierigkeiten, in diesen sieben Jahren auf Kampnagel Ideen und Ansätze von Theater, Tanz und Performance geboren und gewachsen sind, die weiter Bestand haben, die dabei sind sich auszubreiten und nicht mit einem Intendantenwechsel im Sande verlaufen werden. Wie heißt es doch in Goethes Faust, hier in lässiger Spielart von Anja Gronau dargeboten: „Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.“

Res Bosshart zieht es erstmal nach Berlin. Doch will er zusammen mit Dramaturgin Sabine Gehm weiterhin als deutscher Partner im internationalen Junge Hunde-Netzwerk fungieren. Eine geeignete Spielstätte muss noch gefunden werden. Und nach ersten Sondierungen im Süden der Republik und in Berlin ist man jetzt mit einem Hamburger Staatstheater im Gespräch, dem Thalia Theater.

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