Selektionsfaktor Straßenlaternen: Coole Motten meiden Kunstlicht
Provinzmotten streben wie hypnotisiert zum Kunstlicht. Ihre städtischen Schwestern hingegen haben sich an die nächtliche Beleuchtung angepasst.
Dies zeigt eine soeben in der Fachzeitschrift Biology Letters veröffentlichte Studie von Zoologen der Universitäten Basel und Zürich. Das Team unter Leitung von Florian Altermatt und Dieter Ebert setzte für das Experiment Exemplare der Pfaffenhütchen-Gespinstmotte (Yponomeuta cagnagella) in die Nähe von künstlichen Lichtquellen. Und zwar Tiere aus zentralen Basler Stadtteilen mit starker Lichtverschmutzung ebenso wie solche aus dem nachts im Dunklen liegenden Umland.
Dabei kam heraus: Die Landmotten strebten wie hypnotisiert zum Kunstlicht. Ihre städtischen Schwestern wahrten mehr Abstand. Auch wenn die urbanen Motten abgebrüht reagierten – ein individueller Lerneffekt ist hier ausgeschlossen. Denn alle Tiere waren als Puppen gesammelt worden und im Labor geschlüpft.
Folglich legen die Schweizer Wissenschaftler den Verhaltensunterschieden einen evolutionären Selektionsprozess zugrunde. Demnach sind von künstlichen Lichtquellen weniger beeindruckbare Motten an das Leben in der City besser angepasst, haben eine größere Chance, sich dort zu vermehren und ihre Eigenschaften an Nachkommen weiterzugeben.
Motten bevorzugen eigentlich das Dunkle
Die weißen, schwarz gepunkteten Vorderflügel der Pfaffenhütchen-Gespinstmotte haben eine Spannweite von 18 bis 24 Millimeter. Sie heißt nach der Hauptnahrungsquelle ihrer Raupen, dem gewöhnlichen Spindelstrauch (auch: Pfaffenhütchen). Wie alle Motten ist sie ein Nachtfalter und bevorzugt eigentlich das Dunkel.
Weshalb Nachtinsekten trotzdem auf künstliche Lichtquellen fliegen? Weitgehend akzeptiert ist heute die Erklärung, dass sie auf ihrem Weg immer den gleichen Winkel zu dem UV-Anteil des Mondlichts einhalten. Dieser wird zum Beispiel durch eine Straßenleuchte „übertönt“. Durch ihre Facettenaugen können Schmetterlinge ihre Sehschärfe nicht dem Objektabstand anpassen.
In ihrem Bemühen, trotzdem den gleichen Winkel zur Lichtquelle einzuhalten, umschwirren sie das Licht in der bekannten Spirale, an deren Ende sie meist verschmoren oder zerschellen. Umweltschutzorganisationen appellieren deshalb an alle Stadtverwaltungen, die Lichtverschmutzung zu reduzieren, besonders den UV-Anteil daran, und von weißem auf gelbes Licht umzustellen. Dies könnte Milliarden von Faltern das Leben erhalten und ihre so wichtigen ökologischen Funktionen für die Umwelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen