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Selektion Das gleiche Bild erscheint in mehreren Medien. Entscheidend für die Botschaft ist der BildausschnittDie Macht des Details

von Heike Kanter

Die Bilder, die wir täglich in den Medien, etwa in Zeitungen oder auf Nachrichtenwebseiten sehen, haben einen langen Weg der Selektion hinter sich. Ausgewählt werden sie zunächst von den Fotograf*innen, die die Fotos schießen. Eine weitere Auswahl treffen anschließend Agenturen, die die Bilder vertreiben – und zuletzt noch die Redaktionen, die sie veröffentlichen.

Mit jeder ­Veröffentlichung beanspruchen die Pressefotografien, die Wirklichkeit so darzustellen, wie sie ist. Dabei deuten sie eine ­jeweils spezifische Weltauslegung an

Was die Leser*innen am Ende zu sehen bekommen, ist eine kleine Zusammenstellung von dem, was es ursprünglich mal zu sehen gab. Das Problem: Bilder sollen den Betrachter*innen eine Objektivität zeigen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Bereits ein- und dasselbe Ursprungsfoto kann – verschieden bearbeitet – vollkommen unterschiedliche Geschichten erzählen. Das verdeutlicht ein Beispiel aus Süddeutscher Zeitung, Welt und Bild.

Zentral oder am Rand?

Die konstituierende Sitzung des Bundestags im Jahr 2013 war ein großes Thema in der Tagespresse: Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhandlungen zur künftigen Großen Koalition mit Angela Merkel (CDU) als Kanzlerin und Sigmar Gabriel (SPD) als Vizekanzler noch im vollem Gange. Es lag daher nahe, Texte zu diesem Thema mit einem Foto der beiden zu bebildern – nur: Was für eine Stimmung transportierten dabei Bildauswahl und -ausschnitt? Süddeutsche Zeitung, Welt und Bild entschieden sich an diesem Tag alle drei für dasselbe Ursprungsfoto von der Deutschen Presseagentur. Auf diesem stecken Merkel und Gabriel die Köpfe zusammen. Dabei schaut Merkel leicht auf Gabriel herab. Von Gabriel ist zwar nur die Rückenpartie zu sehen, aber auch er wendet sich deutlich der Kanzlerin zu. Was gezeigt wird, ist nicht nur eine vertraut anmutende Nähe zwischen den beiden, sondern auch ein ambivalentes Gegen- und Miteinander.

Der Moment der Allianzbildung wird in der SZ und der Welt noch gesteigert, da beide das Foto unten so beschneiden, dass der Arm Merkels nun nach vorne weist. Es entsteht der Eindruck, die beiden rängen um Positionen. Dabei erscheint Ga­briel in der SZ allerdings offensiver als in der Welt – verursacht auch durch die je unterschiedlichen Beschneidungen oben und rechts.

Bilder zeigen Beziehungen

Auf dem Foto von Bild sieht man eine sehr dominante Merkel. Gabriel wird an den Rand gedrängt und sein markanter Rücken teils durch Schrift verdeckt. Während SZ und Welt den Kontext Bundestag abbilden, moduliert Bild eine Beziehung, die keinesfalls ebenbürtig ist: Merkel, die Frau, die die Ansagen macht, und Gabriel, der Mann, der sich ihr beugt. Er hat in Bild allein die Funktion, Merkels Autorität zu unterstreichen.

In allen drei Bildversionen wird Nähe unterstellt, jedoch verschieden dargestellt. Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung verweist darauf, dass das öffentliche Verhältnis von Presse und Politik auch in Bildern ausgehandelt wird. Mit jeder Veröffentlichung beanspruchen die Pressefotografien die Wirklichkeit so darzustellen, wie sie ist. Dabei deuten sie aber eine je spezifische Weltauslegung an. Darauf bezieht sich auch der Begriff „Abbild“, als ließe sich eine Si­tuation tatsächlich authentisch „abbilden“. Nun sind die hier gezeigten Bilder eine sehr kleine Auswahl. Aber sie reicht aus, um zu zeigen, dass die Macht der ­Darstellung nicht nur in den Bildern selbst, sondern auch in den Händen und Köpfen der­jenigen liegt, die sie produzieren, veröffentlichen und betrachten.

Heike Kanterist Soziologin und ehemalige Fotoredakteurin der taz. Kürzlich erschien ihre Doktorarbeit: „Ikonische Macht – Zur sozialen Gestaltung von Pressebildern“ beim Budrich-Verlag

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