Selbsttest zur Stimmungsaufhellung: Das gewisse Nichts
Bachblüten, Ayurveda, Klopfmethode: Wie schaffe ich mir die richtigen Suggestionen gegen herbstliche Missstimmungen? Eine Woche im Selbstversuch.
BERLIN taz | Der „Consumer Report“, eine Art Stiftung Warentest in den USA, schreitet pragmatisch voran. „When a placebo might be the best ’drug‘“ lautete kürzlich ein Beitrag. Der Artikel gab Tipps, wann es sinnvoll sein kann, sich mit dem Arzt auf die Behandlung durch chemisch inaktive Substanzen zu einigen. Bei Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen könne das positive Effekte haben.
Befindlichkeitsstörungen bewusst mit dem gewissen Nichts zu therapieren, so was ist neu. Die Idee wirft ein neues Licht auf Bachblüten, Ayurveda, Klopfmethoden, die intellektuelle Zeitgenossen gerne für Hokuspokus halten. Hokuspokus kann funktionieren – aber nur, wenn ein paar psychologische Parameter stimmen. Es lohnt eine Woche im Selbstversuch gegen eine ängstlich-melancholische Missstimmung im Herbst.
Montag: Warme Milch mit Honig, am billigsten und einfachsten herzustellen. Langsam trinken. Schlürfen ist erlaubt. Sogar Yogazeitschriften empfehlen warme Honigmilch am Abend gegen Erschöpfung und Melancholie.
Suggestivfaktor: Wie wir einen Reiz verarbeiten, hängt ab von der Aktivierung der Gedächtnisinhalte, die sich mit dem Reiz verbinden, schreibt der US-Psychologe Daniel Kahnemann in „Schnelles Denken, langsames Denken“. Die Assoziationsketten bei Honigmilch sind ambivalent: Hier kommen Süßes, Warmes und Milch zusammen. Wie bei Mama. Aber manche Leute finden genau das ziemlich eklig. Warme Honigmilch zur Beruhigung funktioniert bei mir nur manchmal. Ich schaffe heute Abend nur eine halbe Tasse.
Dienstag: Bachblütentropfen, die gelb verpackten „Bach Original Rescue Tropfen“ sollen bei Ängstlichkeit schnelle Abhilfe schaffen. Laut Packungsaufschrift handelt es sich um eine „Spirituose“ mit 27 Prozent Alkohol. Darin wurden Drüsentragendes Springkraut, Doldiger Milchstern, Kirschpflaume und Gelbes Sonnenröschen aufgelöst. In einer Apotheke in Berlin-Kreuzberg mit hohem Migrantenanteil holt die Verkäuferin die Fläschchen auf Nachfrage von irgendwoher ganz hinten, fast schäme ich mich, nach dem wirkungslosen Zeugs gefragt zu haben. 10 ml kosten satte zehn Euro. Ein paar Straßen weiter in Berlin-Tempelhof mit vielen Bionade-Deutschen im Umfeld thronen die Fläschchen auf extra Ständern direkt an der Kasse. Meine Bekannte F., die auch an Engelsbefragungen glaubt, schwört auf die „Rescue-Tropfen“ gegen Stress und Panik. Ich träufele mir ein paar Tropfen auf die Zunge vor einem Besuch bei der Zahnärztin. Der „Rescue-Effekt“ stellt sich aber nicht ein, als die Dentistin den Bohrer anwirft.
Suggestivkraft: Ambivalente Erwartungen nehmen jedem Placebo die Kraft. Hier lag der Fehler darin, dass mir die Tropfen von einer Zeitgenossin empfohlen wurden, die ich für leichtgläubig halte. Das konnte nicht funktionieren. Außerdem gibt es auch noch eine Discount-Variante der Bachblütentropfen im Internet, wie ich feststellen musste, ist schon ein bisschen ärgerlich.
Mittwoch: Klosterfrau Melissengeist, stand immer bei Großtante Zilly herum. Ich habe mir eine Flasche gekauft, vielleicht kann ich die im Verwandtenkreis später weiter schenken. Zwölf Pflanzenextrakte wie Melisse, Ingwer, Nelke und Bitterorange sind im Melissengeist verarbeitet, der zu 79 Prozent aus Alkohol besteht. Das Einstiegsalter in den Konsum liege bei etwa 45 Jahren, sagte ein Geschäftsführer des Unternehmens in einem Zeitungsinterview. Ich wäre also die Zielgruppe. Doch als ich am Abend einen Esslöffel im Wasserglas auflöse und herunterschütte, bleibt nur der bitter-alkoholische Geschmack zurück. Vielleicht hätte ich das Zeug lieber äußerlich anwenden sollen.
Suggestivkraft: Im Westen gelten zwar Placebos, die bitter schmecken, als wirksamer als süße Pillen, schreibt die deutsche Stiftung Warentest auf ihrer Homepage. Vom abscheulichen Geschmack her müsste der Melissengeist also punkten. Das vermeintliche Hausmittel der „Klosterfrauen“ weckt zudem heimatliche Assoziationen an den christlichen Kulturkreis. Aber genau dieser „Oma-Effekt“ schreckt auch ab. Immerhin: Welche Substanz behauptet heute noch auf dem Beipackzettel, auch ein Mittel gegen „Wetterfühligkeit“ zu sein?
Donnerstag: Weil Ayurveda-Gewürze helfen sollen, streue ich über das Gemüse in der Pfanne eine Prise braunen Zucker, würze mit Zimt, Kardamom, Ingwer und werfe noch ein paar Cashewnüsse hinein. Am Abend genehmige ich mir einen warmen Kakao mit Muskat. Meine hochgeschätzte Yogalehrerin F. hat mir die Ayurveda-Küche empfohlen. Ich bin eher so der ängstliche „Vata-Typ“, und solche Leute sollen nicht nur bestimmte Gewürze, sondern gerade im Winter Warmes, Süßes und Nussiges essen.
Suggestivkraft: Die Empfehlung durch eine Autorität verstärkt die Chance, dass ein Placebo tatsächlich wirkt, heißt es im Beitrag des US-amerikanischen „Consumer Report“. Eine Yogalehrerin mit ihrer ruhigen, warmen Stimme schafft zudem ein positives „Priming“. Als „Priming“ bezeichnet Kahnemann die „Bahnung“ im Hirn, auf der dann der Reiz verarbeitet wird. Ayurveda gibt dem nervösen Vata-Typ die Erlaubnis, möglichst süß und warm zu essen, das befreit auch noch von Schuldgefühlen gegenüber dem westlichen Diätwahn. Praktisch.
Freitag: Heute muss ein Ritual her gegen Flugangst. Ich muss nach München fliegen. W. hat mir das Buch über die Meridian-Energie-Technik (MET) geliehen. Die Methode geht so: Man klopft sich während der Stresssituation an 13 Punkten im Körper ab und murmelt bestimmte Sätze vor sich hin. Am Ende beklopft man noch die Handrücken, rollt mit den Augen nach einem komplizierten Schema und zählt von sieben an rückwärts. Zu Beginn habe ich als Vorbereitung den sogenannten heilenden Punkt oberhalb des Brustbeins massiert und in Gedanken vor mich hin gesagt: „Obwohl ich diese Flugangst habe, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“
Suggestivkraft: Hoch, wenn man es schafft, den komplizierten Anweisungen wenigstens einigermaßen zu folgen. Das lenkt nämlich ab und schiebt damit die Angst beiseite. Wir können „nur einen Gedankeninhalt gleichzeitig voll im Bewusstsein haben“, schreibt der Psychotherapeut Eckhard Roediger. Wer dauernd darüber nachdenkt, ob er nun die richtigen Meridianpunkte in der richtigen Reihenfolge beklopft, denkt nicht gleichzeitig ans Fliegen und die Tatsache, dass man in einer merkwürdigen Metallkiste eingesperrt hoch über der Erde hängt. Wirkt, aber nur, wenn ich mich einigermaßen drauf konzentrieren kann.
Samstag: Ich versuche es mit Esoterik. Kartenlegen. Ich rufe bei „Questico“ an, einem gebührenpflichtigen Telefonservice, bei dem KartenlegerInnen und SterndeuterInnen in Lebensfragen beraten. Der erste Anruf ist kostenlos. Ich habe „Mirjam“ an der Strippe, laut Beraterprofil seit 15 Jahren Hellseherin und Kartenlegerin, „treffsicher“ besonders bei konkreten Problemen. Ich habe Stress mit Freundin S., sie jammert mir zu viel, ich finde aber, sie könnte bei ihrer Jobsuche flexibler sein. Seit einem Streit ist Funkstille zwischen uns, leider. Was sagt Mirjam dazu? „Kein Wunder“, sagt Mirjam in pfälzischem Tonfall und duzt mich gleich, „deine Freundin findet, dass du sie bevormundest. Das sagen meine Karten hier ganz klar. Das kotzt deine Freundin an, wenn du auf ihr herumhackst.“ Peng. Das saß. Nicht mal drei Minuten dauert die Beratung. Kurz danach kommt ein Qualitätssicherungsanruf einer anderen Dame von Questico. Hat mir Mirjam geholfen? Ja, irgendwie schon.
Suggestivkraft: Ist beim Kartenlegen in der Telefonberatung nicht nötig, wenn die Ansage so direkt kommt wie von Mirjam. Aber: das zweite Gespräch wäre kostenpflichtig, 2,29 Euro die Minute. Über 100 Euro für 45 Minuten. Nicht mal Psychotherapeuten verdienen so viel.
Sonntag: Nix tun. Eine Stunde an der Havel entlanglaufen, danach eine Suppe essen, einen Rotwein trinken und über die Woche nachdenken.
Suggestivfaktor: Bewegung in freier Natur, danach Kohlenhydrate und Alkohol. Auch nicht schlecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“