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Selbstmordserie gab's auch hier

■ Selbstmordversuche und Selbstverstümmelungen – so sah es vor drei Jahren im Bremer Jugendknast aus. Bis ein kurdischer Sozialarbeiter kam

Die einen ritzten sich mit Rasierklingen auf dem Körper herum, die anderen versuchten sich gleich ganz umzubringen – das war die Situation in der Jugendjustizvollzugsanstalt Blockland vor drei Jahren. „Sowas ist eindeutig ein Zeichen, daß Jugendliche mit einer Situation nicht fertigwerden, der Außendruck ist zu groß, um sich zu wehren“, sagt der Sozialarbeiter Thomas Stapke. Mädchen in der Pubertät ritzten auch häufig an sich herum. Damals, vor drei Jahren, waren 80 Prozent der U-Häftlinge im Blockland-Knast junge Kurden, schon vor der Gerichtsverhandlung inhaftiert wegen angeblicher Fluchtgefahr – Asylbewerber-Sammelunterkünfte gelten ja nicht als „feste Adresse“.

Zwei deutsche und ein kurdischer Sozialarbeiter organisierten schließlich einen Besuchsdienst. Seitdem habe es unter den jungen Kurden keine Selbstmordversuche mehr gegeben, die Zahl der Selbstverstümmelungen sei auch sofort zurückgegangen, sagt Thomas Stapke. Deshalb schlägt er nun der niedersächsischen Justizministerin in einem offenen Brief vor, solch ein Projekt auch in Niedersachsen aufzuziehen. In niedersächsischen Knästen hatten sich in den vergangenen zwei Wochen fünf Jugendliche umgebracht.

„Wir haben die jungen Kurden abgeholt, wo sie standen“, erzählt der Sozialarbeiter Stapke: Die Jugendlichen kamen aus kurdischen Dörfern mit klaren autoritären Strukturen. Geh nach Deutschland, lebe dort, sagten viele Eltern. Nur – hier war auch nicht leicht leben: 16jährige gelten nach dem Asylgesetz als erwachsen, müssen also ein eigenständiges Asylverfahren durchziehen, in Erwachsenen-Sammelunterkünften leben und mit 80 Mark im Monat auskommen. Wenn da ein erwachsener Kurde oder Türke kommt und sagt: „Hier, bring das Päckchen von A nach B, dann kriegste Geld“ – welcher junge Kurde kann diesem Angebot und dieser Autorität widerstehen?

Blöd nur, daß mit dem Richter noch eine weitere Autorität auf den Plan tritt und das genaue Gegenteil sagt: „Dealen ist verboten, auch wenn du nur als ,Pion', als ,Bauer' benutzt worden bist.“ Daß es auch „falsche“ Autoritäten gibt, das wußten die Jugendlichen nicht, dagegen konnten sie sich nicht wehren, erzählt der Sozialarbeiter des Bremer Projekts. In wöchentlichen, dreistündigen Seminaren mit den U-Häftlingen habe man über Autorität geredet und über Gesetze ... „Das hat ihnen doch noch nie jemand erklärt!“ Die deutschen Sozialarbeiter übernahmen die Arbeit der Kontaktaufnahme mit Behörden, der kurdische Sozialarbeiter macht mehr die rein pädagogische Arbeit.

Streng geht es da manchmal zu, strenger, als deutsche Sozialarbeiter gewöhnt sind. Streng ist auch die Hausordnung im Wohnprojekt „Mala Me“ (“Unser Haus“) in der Neustadt, das straffälligen Jugendlichen einen „festen Wohnsitz“ bietet, damit sie nicht in U-Haft genommen werden: kein Besuch auf dem Zimmer, Besuch im Gemeinschaftsraum nur mit Anmeldung, die Teilnahme an Sportveranstaltungen und Seminaren ist Pflicht ... „Da stehen deutschen Sozialarbeitern zunächst die Haare zu Berge“, sagt Stapke, „aber die kurdischen Jungs kommen damit gut zurecht“.

Bei der niedersächsischen Justizministerin ist der Offene Brief der Bremer Initiative allerdings noch nicht angekommen. Man sei zwar froh über Anregungen, sagt Pressesprecher Hauke Jagau, aber das Bremer Projekt würde in Niedersachsen wohl nicht viel helfen: Schließlich sei nur einer der fünf Toten ein Kurde gewesen, und externe Sozialarbeit in den Knästen kenne man selbst auch. Außerdem sei jetzt eine Arbeitsgruppe zur Klärung der Vorfälle eingesetzt.

Hoffentlich komme damit das Thema endlich wieder aus den Medien, wünscht sich der Pressesprecher: Reihenweise drohten nämlich jetzt Häftlinge mit Selbstmord, wenn sie nicht sofort Haftlockerung bekämen. cis

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