: Selbstmitleid im Regen
Am Tag nach der Leichtathletik-EM wurde in Göteborg Medikationsschrott in einer Mülltonne gefunden – russisch beschriftet. Endlich eine Erklärung für die trübe Stimmung beim Sportereignis
von Jan Feddersen
Ein Schornsteinfeger namens Niclas Larsson ist der Held auf Seite 8 der schwedischen Boulevardzeitung Expressen: „Er fand die Spritzen“, ist der Text betitelt, und die Rede ist von einem Zufallsfund in einer Mülltonne in der Göteborger Innenstadt.
Eine heikle Trouvaille, denn sie besteht, das ergaben Prüfungen, aus Medikations- und Ampullenschrott, teils noch blutkontaminiert, der russisch beschriftet ist. Dass es nicht die Hinterlassenschaft örtlicher Junkies sein kann, war schnell klar, denn die Fundstelle liegt nahe jenes Hotels, in dem die russische Mannschaft während des Leichtathletikchampionats herbergte.
Niclas Larsson, der neugierige „Sachensucher“, um die Charakteristik im Sinne Astrid Lindgrens zu umreißen, der Mann, der den freundlichen Drogenfinder gibt und aussieht, wie ein netter Nachbar nur aussehen kann, gab nur dies zu Protokoll: „Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Wenn das Kinder in die Hand bekommen hätten!“
Endlich hat Schweden eine Erklärung für die langweilige Dominanz jenes Landes, das, allen Fällen Eiserner Vorhänge zum Trotz, noch immer medikamentöse Manipulationen am sportlichen Körper für ein legitimes Mittel im Kampf um die Weltherrschaft in den leibeskonkurrierenden Disziplinen hält – und damit meistens gewinnt. Das konnte ja nicht anders sein! Schwedische Medien zogen selbst eine eher deprimierte Bilanz der EM im eigenen Land: Wenige Stars, nur drei schwedische Goldmedaillen, gescheiterte Favoriten.
Schlechte Gastgeber
Die anderen Nationen hatten hingegen schnell gemerkt: Das sind die Spiele der Schweden. Denn Schweden sind keineswegs so gute Gastgeber, herzlich zu Angereisten und interessiert an allen Leistungen über das Gewöhnliche hinaus, wie man vielleicht denken würde. Das Publikum applaudierte den nichtschwedischen SportlerInnen ungefähr so munter wie zu ungebetenem Besuch am Abend: Schön, dass ihr da seid, aber schöner, wenn ihr wieder fahrt. Eine Mentalität, die die alte Lindgren als scheußlich kritisierte: „Sie lächeln, aber es bedeutet nicht das, was man für ein Lächeln halten könnte. Nur die Hoffnung, bald wieder unter sich zu sein. Sie haben Fremde nicht gern.“
Ärgerlicherweise wurde dieKritik am schwedischen Publikum nach den Schlussworten im Göteborger Ullevistadion auch seitens der ausländischen BesucherInnen laut – man schwor, so überlieferten es schwedische Zeitungen, dieses Loch namens Göteborg am besten nie mehr aufzusuchen, und wenn, dann nur als Station auf dem Weg nach Norwegen oder Finnland.
Passend zu diesen ungemütlichen Betrachtungen regnet es in Schweden ohnehin seit Tagen, die sommerliche Hitze wie weggespült, sodass die falunroten Holzhäuser nicht mehr leuchten, sondern eher dräuend zu drohen scheinen. Insofern verlegte sich der Blätterwald gestern auf Weinerliches. Nicht die möglicherweise der russischen Medaillenbilanz aufhelfenden Präparate standen ernsthaft im Mittelpunkt der sportjournalistischen Erörterungen, sondern das Erwischtwerden dreier Exspitzensportler am Rande einer Feier für den schwedischen Dreispringer Christian Olsson mit Kokain.
Es regnet in Schweden
Und auch Patrik Sjöberg war dabei, ein Hochspringer, der von Mitte der Achtziger bis Anfang der Neunziger so in die Höhe floppte wie sonst nur der Kubaner Javier Sotomayor. Höhen, die heute – offenkundig funktionieren Dopingkontrollen doch manchmal – niemand mehr zu bewältigen vermag. Sjöberg jedenfalls muss mit einem Bußgeld rechnen: Sein Image als Saubermann der schwedischen Leichtathletik hatte er nach einigen Alkoholexzessen ohnehin schon vor Jahren eingebüßt.
Dass heute Schwedens Fußballer in Düsseldorf gegen deren deutsche Kollegen spielen, ist dann kaum noch Raum in den Spalten wert. Nach dem glanzlosen Aus im WM-Achtelfinale spricht man von einem neuen System, das man probieren wolle: Aber alles hat kein rechtes Selbstbewusstsein, kein Gran jenes typisch schwedischen Überlegenheitsgefühls, aus dem heraus diese christlich-sozialdemokratische Stimmung aus brünettem Missionsgeist und blonder Kotzbrockigkeit erst erwächst.
Carolina Klüft, SiebenkampfEuropameisterin, hat im Übrigen gestern ihre Saison für beendet erklärt. Sie sei verletzt, teilte sie mit. In Schweden, von Happaranda bis Ystad, regnet es inzwischen ohne Pause. Irgendwie passt hier alles zusammen, ein ideelles wie meteorologisches Gesamtklima. Schornsteinfeger Niclas Larsson lapidar: „Ich habe nur meine Pflicht getan.“