piwik no script img

Selbsthilfegemüse - gut und billig!

■ „Selbsthilfe-Verkaufsgenossenschaft“ in Ost-Berlin gegründet / Mit billig verkauftem DDR-Gemüse soll DDR-Produkte-Boykott gebrochen werden / Initiator: Vereinigte Linke / Noch ist alles geliehen, doch man ist optimistisch

Ost-Berlin. Am U-Bahnhof Dimitroffstraße, direkt gegenüber von Konnopkes legendärer Würstchenbude, befindet sich seit gestern ein Obst- und Gemüsestand. Das auffälligste an ihm ist seine Unscheinbarkeit. Auch das Angebot ist eher bescheiden zu nennen: Äpfel, Tomaten, gelber Paprika. Tritt man jedoch näher, so ist man überrascht, wie billig die Ware dort zu haben ist - Tomaten zum Beispiel für 1,90 DM das Kilo, Äpfel der Sorte Helios für 2,50 DM. Dieser Verkaufstand gehört der neugegründeten „Selbsthilfe-Handelsgenossenschaft“, einer Vereinigung, die versuchen will, die von den großen Handelsketten boykottierten DDR-Landwirtschaftsprodukte an den Menschen zu bringen. Weitere Verkaufstände der Selbsthilfe -Handelsgenossenschaft befinden sich direkt am S-Bahnhof Schönhauser Allee, neben der Kaufhalle Johannes-R.-Becher -Straße, am S-Bahnhof Hohenschönhausen sowie in der Weißenseer Buschallee.

Hinter dem Stand an der Kreuzung Kastanienallee/Ecke Schönhauser Allee steht Heinz Lange (50). „Als ich mich auf dem Arbeitsamt meldete“, erzählt, der ehemalige Modegestalter, der schon seit einiger Zeit arbeitslos ist, „da sagte man mir, daß sich so eine Genossenschaft gründen wolle, und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen. Als ich das Wort 'Genossenschaft‘ hörte, war ich ja erst mal skeptisch - aber dann dachte ich mir, egal, guckst du dir das einfach mal an. Ja, und dann haben wir zwei, drei Wochen lang gewirbelt, schließlich mußte ja eine Menge organisiert werden. So haben ich dann in meinem Bekanntenkreis nachgefragt, wer Interesse daran hätte, Obst zu verkaufen; Zettel haben wir auch geklebt, auf denen wir Verkaufskräfte suchten - na, und so weiter.“ Auch wenn der ganz große Ansturm noch ausblieb, so ganz unzufrieden ist Heinz Lange mit dem Ergenbnis des ersten Tages nicht: Über 500 DM - und das bei den niedrigen Preisen!

Die Initiative für das Projekt ging von der „Vereinigten Linken“ (VL) aus, in deren Räumen im „Haus der Demokratie“ sich zur Zeit auch das provisorische Büro der Genossenschaft befindet. Dort hat neuerdings auch Inge Scholz ihr Domizil seit zwanzig Jahren bei der Ostberliner „Großhandelsgesellschaft Obst Gemüse Speisekartoffeln“ (OGS) beschäftigt und nun ebenfalls von Arbeitslosigkeit bedroht. „Bei uns ist im Moment so gut wie alles geliehen“, erzählt Frau Scholz, „Lieferfahrzeuge, Stände - sogar die angebotene Ware ist noch nicht bezahlt.“ Jetzt habe man beim Westberliner „Netzwerk“, das selbstverwaltete Projekte finanziell unterstützt, einen Kredit von 10.000 DM beantragt. „Dann“, so Inge Scholz weiter, „fehlen uns Plätze, auf denen wir die ware zwischenlagern können - die großen Lagerhallen von OGS sind ja seinerzeit mit an Hofka verkauft worden. Zudem ist das Verständnis für unser Anliegen bei den einzelnen Bezirksämtern sehr unterschiedlich. Während uns beispielsweise der Bezirk Prenzlauer Berg kostenlos Stände zur Verfügung gestellt hat, will man in Köpenick offenbar nur den Direktverkauf durch die LPGs zulassen.“

Erste Liefervereinbarungen gibt es momentan mit den LPGs Plötzin und Fahrland in der Nähe von Berlin - weitere sollen demnächst hinzukommen. Auch werde selbstverständlich das Angebot erweitert. „Wir wollen“, so Inge Scholz, „die Berliner preiswert mit DDR-Produkten versorgen. Und wenn ich mir nur mal die Preise für Tomaten bei mir in der Kaufhalle ansehe - rund vier Mark das Kilo - so glaube ich schon, daß wir auf unserer Ware nicht sitzenbleiben werden.“ Auch überlege man, neben den einzelnen Ständen einen regelrechten Wochenmarkt zu installieren. Gedacht wurde dabei an das Gelände des ehemaligen Grenzübergangs Heinrich-Heine-Straße. Inge Scholz: „Das Gelände ist ideal. Auf Grund der Überdachung sind wir da sozusagen wetterfest, die Baracken ließen sich ebenfalls nutzen - und gerade auf der Ostseite gibt es da ja sowieso kaum Läden.“

Heute, Mittwoch, will man sich um 14.00 Uhr mit Vertretern aus Mitte und Kreuzberg treffen, um über die Einrichtung des Marktes zu beraten.

Olaf Kampmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen