piwik no script img

Selbstbewußtsein ist nötig

■ betr.: "Linke Wendehälse - im Westen", taz vom 13.7.90

betr.: „Linke Wendehälse - im Westen“ („Sie hassen sich selbst“ - Über West-Intellektuelle und ihre Geschichte), taz vom 13.7.90

Detlef Michel spricht mir zwar mit seinem Artikel aus dem Herzen, aber warum muß denn auch hier wieder ein „Wessi“ kommen, der das so schreibt?

Was mich aufregt, ist der Umstand, daß der typische DDR -Bürger (also auch der linke) eben klein beigibt, wenn ihm da jemand mit Herablassung erklärt, wie blöd wir doch eigentlich sind. Kann man es dem bundesrepublikanischen Linken übel nehmen, wenn er uns erklärt, warum es nötig ist, fürs Krankenbett fünf DM pro Nacht zu verlangen (nur als Beispiel)? Nein, er hat sich da eine Ausrede vor sich selbst gebastelt, weil es in seinem „Kampf“ um Wichtigeres geht und er sich mit solchen Kleinigkeiten nicht aufhalten will.

Außer den paar wirklich Oppositionellen von vor Oktober '89 haben wir nicht gelernt, Selbstbewußtsein zu haben und mit Herablassung darüber hinwegzugehen, wenn uns einer an eigentlich unwesentlichen Punkten bei Ausreden ertappt. Ich denke aber trotzdem, daß wir zu Selbstbewußtsein fähig sind, wenn wir den Mut dazu aufbringen; wenn wir uns einfach als Menschen und nicht als Weiße-Weste-Männer (und -Frauen) begreifen, die zwar kritikwürdige Fehler gemacht haben. Soll uns doch einer erst mal beweisen, daß es wirklich Fehler waren.

Wir können doch auch sagen: Warum habt Ihr bei Euch keine Mehrheit für linke Ideen gefunden und uns vorgemacht, wie der Weg zur gerechten Gesellschaft aussieht? Wir können doch auch behaupten: Ihr seid Schuld, daß sich der Stalinismus bei uns so lange gehalten hat, weil Ihr nichts gegen sein Feindbild gemacht habt. Ohne sein Feindbild wäre er viel schneller kaputt gegangen. Beweist uns erst mal, daß Ihr nicht schuld seid.

Also: Mehr Selbstbewußtsein, Mitbürger!

Olaf Tauchert, Chemnitz/DDR

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen