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„Selbst Präsident Kovác weiß das nicht“

Die neue slowakische Regierung hält sich über ihre zukünftige Politik außerordentlich bedeckt  ■ Von Sabine Herre

Berlin (taz) – Wer sich in den vergangenen Tagen in den „stets gut informierten Kreisen“ in Bratislava oder Prag umhörte, um Näheres über den politischen Kurs der neuen slowakischen Regierung zu erfahren, erhielt selten eine konkrete Antwort. „Das wissen wir nicht. Selbst Präsident Kovác weiß das nicht.“ Und dabei hatte doch gerade der erste Präsident des seit vierzehn Monaten unabhängigen Staates seit mindestens drei Monaten auf den Regierungswechsel hingearbeitet.

Angesichts der Zusammensetzung des neuen Kabinetts kann diese Ratlosigkeit freilich kaum verwundern. Von Michal Kovác mit der Regierungsbildung beauftragt wurde der bisherige Außenminister Jozef Moravcik. Der 48jährige Jurist hatte sich erst vor wenigen Wochen entschieden, offen gegen den bisherigen Regierungschef Vladimir Meciar zu opponieren. Das Spektrum der Regierungsparteien reicht von ganz links – der exkommunistischen SDL – bis zu gemäßigt rechts – der christdemokratischen KDH. Hinzu kommen drei Splittergruppen, die sich bisher allein durch ihre Ablehnung der Politik Meciars auszeichneten. Und so fällt es selbst den Mitgliedern dieser „großen Koalition“ schwer, ihr Bündnis als die programmatische Alternative zur bisherigen Regierung zu präsentieren.

Warum aber haben sich die bisher eher schwachen Gegner des „starken Manns der Slowakei“ nach monatelangem Zögern und Zaudern nun doch entschieden, Meciar von seinem Thron zu holen? Bereits Wochen vor dem Mißtrauensvotum vom vergangenen Freitag schrieb eine unabhängige Zeitung: „Der Sturz des Premiers ist schlecht, sein Verbleiben im Amt jedoch noch schlechter.“ Was soviel heißen sollte wie: Wir wissen nur zu gut, zu welcher Form der Populist Meciar in der Opposition auflaufen kann. Denn schon einmal, im Frühjahr 1991, wurde er als Regierungschef gestürzt, um dann ein Jahr später von den slowakischen WählerInnen zurückgeholt zu werden. Angesichts der wirtschaftlichen Situation des Landes – für 1994 wird mit einer Inflationsrate von 20 und einer Arbeitslosenrate von 18 Prozent gerechnet – könne man die nationalistischen Ausfälle des früheren Boxers jedoch nicht länger hinnehmen, nun müsse endlich ausländisches Kapital ins Land kommen.

„Konzentration auf Fragen der Wirtschaft“

Eine „Konzentration auf Fragen der Wirtschaft“ hat denn auch Premier Moravcik als „Hauptaufgabe“ seiner Regierung bezeichnet. Nachdem unter Meciar die Privatisierung der großen Staatsbetriebe weitgehend zum Stillstand gekommen ist, soll nach Vorstellung der KDH schon in den nächsten Wochen die zweite Welle der sogenannten Kuponprivatisierung anlaufen. Im Unterschied zur Tschechischen Republik, wo Ministerpräsident Václav Klaus ganz auf diese kostenlose Verteilung der Aktien der Betriebe an die Bevölkerung setzt, wollen die slowakischen Konservativen jedoch auch auf „traditionelle“ Privatisierungsmethoden – Verkauf oder Versteigerung – zurückgreifen.

Ob sich jedoch auch der linke Teil der Koalition, die SDL, für eine Beschleunigung der Umwandlung der Besitzverhältnisse einsetzen wird, bleibt abzuwarten. Zwar gehören „Demokratie“ und „Marktwirtschaft“ inzwischen zum Sprachschatz der „Partei der demokratischen Linken“, doch müssen die Exkommunisten Rücksicht auf ihre alte Klientel nehmen.

Für Konflikte zwischen KDH und SDL könnte außerdem die sogenannte Lustration sorgen. Das noch vor Auflösung der Tschechoslowakei verabschiedete Gesetz, das eine Überprüfung zahlreicher Berufsgruppen hinsichtlich einer Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst anordnete, war auf Druck der Exkommunisten von Meciar dem Verfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt worden. Zwar hält der frühere slowakische Ministerpräsident und KDH-Vorsitzende Jan Carnogursky eine Aufhebung des Gesetzes für nicht wahrscheinlich. In einem taz-Gespräch räumte er jedoch gleichzeitig ein, daß man sich mit der SDL in dieser Frage wohl auf einen Kompromiß einlassen müsse: Das Lustrationsgesetz bleibt bestehen, im Gegenzug verzichten die Christdemokraten auf ein Gesetz über die Anerkennung des antikommunistischen Widerstands.

Jan Carnogursky weiß, daß seine Partei in der neuen Regierung keinen leichten Stand haben wird: Denn im Kabinett Moravcik stellen die Christdemokraten lediglich 5, SDL und Splittergruppen zusammen aber 13 Minister. Daher habe man, so der frühere Ministerpräsident unumwunden, „Angst, sich nach den vorgezogenen Parlamentswahlen im Herbst erneut in der Opposition wiederzufinden“. Und tatsächlich: Nach einer ersten Absprache der SDL mit den von Alexander Dubcek mitbegründeten Sozialdemokraten könnten die demokratischen Linken im neuen Parlament über eine knappe Mehrheit verfügen.

Trotz all dieser zu erwartenden Probleme: die erste Woche der „Nach-Meciar-Zeit“ hat die neue Koalition unerwartet gut überstanden. Viel schneller als von Präsident Kovác erwartet gelang die Regierungsbildung, im Unterschied zum Frühjahr 1991 gab es diesmal keine größeren Demonstrationen für den gestürzten Premier. Im Gegenteil: Ein von der HZDS, der Partei Meciars, angestrebtes Referendum über die Parlamentsneuwahlen kam nicht zustande, da es der Partei nicht gelang, die notwendige Anzahl „gültiger“ Unterschriften zusammenzubekommen. Bei der Überprüfung der Listen stellte sich heraus, daß viele Unterzeichner schon vor Jahren gestorben waren. Zudem scheint Moravcik auf dem besten Weg zu sein, ein Problem zu beseitigen, das bisher nicht nur die Beziehungen zum Nachbarland Ungarn, sondern auch zum Europarat belastete: In einem Grundlagenvertrag mit Budapest sollen die Rechte der ungarischen Minderheit kodifiziert sowie die Unverletzlichkeit der Grenzen festgeschrieben werden.

Regierung ohne ungarische Minderheit

Weniger innovativ zeigte sich die neue Koalition dagegen bei einer anderen „ungarischen Frage“: Obwohl die Parteien der Minderheit das Mißtrauensvotum gegen Meciar unterstützt hatten, wurden sie – mit Blick auf die kommenden Parlamentswahlen – nicht in die Regierung aufgenommen. Jan Carnogursky: „Wir wollen keine unnütze Steigerung der nationalen Leidenschaften.“ Anders ausgedrückt: Der KDH-Chef will keine WählerInnen an die slowakischen Nationalisten verlieren.

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