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„Seitenwende“ auf der Genoversammlung Ein Blatt wendet sich

2024, eine Genoversammlung schreib taz-Geschichte. Die Genoss:innen stimmen Ende des täglichen Druckens der taz zu.

Familienfoto der Seitenwende: Auf der Bühne der Genoversammlung verkünden Vorstand, Chefredaktion, Produktentwicklung und zahlreiche andere tazler:innen den Termin für die Abschaffung des täglichen Druckens Foto: Piero Chiussi

taz Genossenschaft | Es gehört zum Gründungsmythos der taz, dass sie sich von Anfang an den Regeln des Mediengeschäfts, vielleicht sogar des Markts insgesamt, zumindest ein wenig entzogen hat. Eine linke Zeitung, geboren aus revolutionärem Geist, getragen von einer Genossenschaft – das gab es in Deutschland noch nie.

Und wer zwischendurch dachte, dass sich dies seit 1978 ein wenig überholt haben könnte, wurde vergangene Woche eines besseren belehrt: Die letzte auf Papier gedruckte werktägliche Ausgabe der taz werde am 17. Oktober 2025 erscheinen, verkündete die Geschäftsführung der Zeitung am vergangenen Samstag bei der diesjährigen Generalversammlung der Verlagsgenossenschaft in Berlin-Kreuzberg. Ein Verlagshaus und seine Genossenschaft feiern die „Seitenwende“, wie der Wandel unterdessen heißt – auch das gab es in Deutschland noch nie.

77 Prozent Zustimmung

Sechs Jahre ist es her, dass der ehemalige taz-Geschäftsführer Kalle Ruch seine Belegschaft ganz schön überraschte, als er 2018 das Ende der werktäglichen gedruckten Zeitung ankündigte. Der Journalismus der taz lebe „im Netz“ weiter, meinte Ruch. Seine Vision – unter der Woche digital, am Wochenende nach wie vor gedruckt – wurde nicht von jedem mit Begeisterung aufgenommen.

Das hat sich nun geändert: Rund 77 Prozent der Ge­nos­s*in­nen stimmten am Samstag dem Satz zu, der da lautete: „Ich glaube, dass der Weg, die tägliche Zeitung ab 17. Oktober 2025 digital erscheinen zu lassen und nur noch die wochentaz zu drucken, der richtige Weg ist, um das Fortbestehen der taz zu sichern.“ Dass es einmal so kommen würde, hätte vielleicht nicht einmal Kalle Ruch gedacht.

Aus einer Position der Stärke heraus

Zuvor warben beide Lager – pro und contra „Seitenwende“ – um Stimmen auf der Bühne. Vizechefredakteurin Katrin Gottschalk und Geschäftsführerin Aline Lüllmann betonten, dass die Entscheidung, unter der Woche nicht mehr zu drucken, nicht aus einer Krise heraus getroffen werde, sondern vielmehr aus einer „Position der Stärke“. Man habe sich den Schritt keineswegs leicht gemacht, habe die entsprechenden Vorbereitungen getroffen.

Dazu zählt die wochentaz, die 2022 die bis dahin erhältliche „taz am wochenende“ als echte Wochenzeitung mit Kioskhaltbarkeit von Samstag bis Samstag ablöste. Dazu zählen auch ein für Mitte Oktober geplanter Relaunch der Website taz.de, eine neue App und die Steigerung der Digitalabos sowie der Erlöse aus dem freiwilligen Bezahlmodell „taz zahl ich“.

„Wir sind glücklich und erleichtert, dass alle Zukunftsprodukte der taz jetzt so weit entwickelt und auch so erfolgreich sind, dass wir diesen wichtigen Schritt in die publizistische Zukunft der taz gehen können“, erklärte Lüllmann im Vorfeld. Insgesamt ließe sich der werktägliche Druck und die Logistik dahinter bei sinkenden Abozahlen aber nicht mehr ewig kostendeckend gestalten.

Seitenwende?

Was ist die Seitenwende und warum machen wir das? Unser Info-Portal liefert ihnen weitere Hintergründe, Einblicke und Ausblicke: taz.de/seitenwende

Ein Treppenwitz?

Die Gegenrede zur „Seitenwende“ kam aus der Genossenschaft: taz-Genosse Jobst Jungehülsing brachte in einem längeren Wortbeitrag seine Bedenken vor und übte gleichsam selbst Druck auf Geschäftsführung und Chefredaktion aus: Es sei ein „Treppenwitz“, dass ausgerechnet die progressive taz angesichts des sich verändernden Medienmarkts mit Merkel’scher „Alternativlosigkeit“ argumentiere.

Lieber hätte man eine Strategie entwickeln sollen, die sowohl die tägliche Printausgabe als auch eine Digitalstrategie miteinbezieht.

Die restlichen Ge­nos­s*in­nen sahen das überwiegend anders. Zwar drückten auch weitere ihr Bedauern gegenüber der „Seiten­wende“ aus, betrachteten den Schritt aber mehrheitlich als richtig. Es gehe schließlich darum, zu bewahren, „wofür die taz steht“, sagte eine Genossin – und das sei wichtiger als das Papier, auf dem sie gedruckt wird. Zudem, so die Genossin, wäre die Alternative, „in Schönheit zu sterben“.

Nun ist es also amtlich: Nach sechs Jahren Diskussion und Strategie steht die Ge­nos­s*in­nen­schaft zu großen Teilen hinter dem Projekt „Seitenwende“, das von Anfang an nicht nur Freun­d*in­nen hatte. Nach über 40 Jahren taz auf Papier wird es werktäglich nun eine digitale, abgeschlossene Ausgabe geben – und am Wochenende das Papierprodukt zum Anfassen.

Mehr als Lippenbekenntnisse

Ideeller Rückenwind genügte der Chefetage aber nicht: Damit die taz zuversichtlich in die digitale Zukunft blicken kann, bräuchte es mehr als „Lippenbekenntnisse“, sagte Katrin Gottschalk. Als Nächstes wollte sie wissen, wer die taz auch für die kommenden zwei Jahre als Abon­nen­t*in zu unterstützen gedenkt. Die Antwort kam prompt und deutlich: 69 Prozent bleiben bei der taz – trotz oder wegen der „Seitenwende“.

Für die Belegschaft der taz nähert sich nun das Ende eines langen Transformationsprozesses, der, wie die Geschäftsführung betonte, einen „Kraftakt“ darstellt. Systeme müssen umgestellt werden, Arbeitsprozesse verändern sich – gut geölte Strukturen eines jahrzehntelang minutengenau operierenden Medienhauses werden umfangreich infrage gestellt.

Aber das Wesentliche bleibt. Das unterstrichen auch die Chefredakteurinnen Barbara Junge und Ulrike Winkelmann: „Unsere Analysen, Kommentare und Recherchen, unsere Haltung und Ironie bleiben auf mindestens bekanntem Niveau.“

Davon mussten die Ge­nos­s*in­nen kaum überzeugt werden, denn mehr als einmal fiel auf der Generalversammlung die fast schon beiläufige Bemerkung, dass die taz inhaltlich so stark sei wie noch nie. Das liegt vor allem daran, dass sie die taz geblieben ist – und bleibt.