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Seit 19 Jahren im Probebetrieb

■ Das AKW Obrigheim hat nie eine Genehmigung erhalten / Ein Bericht von Didi Willier

Die Atomkraftwerke Baden–Württembergs lassen echte Freude aufkommen: In Neckarwestheim stehen Reparaturarbeiten für 900 Millionen Mark an. In Phillipsburg hat ein Ingenieur–Büro Anlagenteile für den Hersteller berechnet und anschließend die eigenen Berechnungen im Auftrag des TÜV kontrolliert. Den Vogel schießt jetzt Obrigheim ab. Das AKW läuft seit 19 Jahren - ohne Genehmigung!

Stuttgart (taz) - Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Im AKW Neckarwestheim rosten die Kernumfassungsschrauben und die Halterungen der Brennstäbe, Philippsburg 2 ging ohne die endgültigen Prüfungen durch den badischen TÜV ans Netz, und jetzt stellten die baden–württembergischen Grünen fest, daß das AKW Obrigheim für den Dauerbetrieb nie genehmigt wurde. In der zweiten Teilgenehmigung des Stuttgarter Wirtschaftministeriums zum Betrieb des AKW Obrigheim heißt es ausdrücklich: „Die Arbeiten am Kernkraftwerk Obrigheim sind soweit fortgeschritten, daß nunmehr mit dem Anfahr– und Probebetrieb begonnen werden kann. Dieser umfaßt das Kritischmachen des Reaktors, die Nulleistungsversuche sowie den Probebetrieb bei Schwachlast, Teillast und Vollast. Er umfaßt jedoch nicht den Dauerbetrieb.“ Für diesen Dauer– oder Leistungsbetrieb bedarf es nach dem Atomrecht einer gesonderten Genehmigung, und die gibt es bis heute nicht. Ein „eklatanter Rechtsverstoß“, konstatieren die Stuttgarter Grünen, und fordern die sofortige Stillegung der Anlage. Der „Schrottreaktor“ läuft seit 19 Jahren zur Probe, und das im Tschernobyljahr mit der maxi malen Auslastung von 98 Prozent. Baden–Württemberg, das Land der heißen Öfen? Das AKW Obrigheim im Odenwald, meinen Grüne und Atomrechtler, muß also erst noch genehmigt werden. Um aber nach dem Reaktorsicherheitsgesetz genehmigungsfähig zu sein, wäre schon seit 1975, nach der dritten Novellierung des Gesetzes, wegen der Vielzahl an Sicherheitsmängeln ein Neubau fällig. Die baden–württembergische Landesregierung ist anderer Ansicht: Was nie genehmigt wurde, brauche auch nicht genehmigungsfähig zu sein. „Eberle, Profitstreberle“ wurde der frühere baden–württembergische Wirtschaftsminister vor zehn Jahren von den badischen Winzern im Wyhler Wald beschimpft. Sein Ministerpräsident, der unselige Filbinger, bezog Prügel vorort. Unverrichteter Dinge mußten alle beide wieder abziehen, einschließlich Baufahrzeugen und Kampftruppen der Polizei. Das geplante AKW–Wyhl steht nicht mehr auf der politischen Tagesordnung, statt dessen treffen sich die Menschen der Umgebung noch immer auf dem vorgesehenen Baugelände in der Volkshochschule im Wyhler Wald. Daß dasselbe Ministerium schon ein paar Jahre vorher mit einem bürokratischen Trick aus der Genehmigung des „Anfahr– und Probebetriebs“ im AKW Obrigheim einen uneingeschränkten Dauerbetrieb machte, wurde erst jetzt und zufällig bekannt. Zur Erstellung einer Sicherheitsstudie über das Odenwälder Atomkraftwerk hatten sich Mitarbeiter des Darmstädter Öko–Instituts im vergangenen Jahr die Betriebsgenehmigungen aus dem Stuttgarter Wirtschaftsministerium beschafft. Außer katastrophalen Sicherheitsmängeln fiel den Wissenschaftlern nichts auf. Die Studie erschien und löste im Wirtschaftsministerium, unter Betreibern, Betriebsräten und Mitarbeitern des AKW einen Proteststurm aus; pseudowissenschaftlich sei die Studie, von Stillegung des AKW könne keine Rede sein, beschied Wirtschaftsminister Herzog. Zum Jahresbeginn wurden eigens 1.400 Betriebsräte und Beschäftigte kerntechnischer Anlagen aus der ganzen BRD nach Obrigheim geschafft, zur Demonstration der Garanten deutscher Reaktorsicherheit. Doch auch Grüne und Öko–Institut waren sich sicher in ihrer Kritik. Noch einmal nahm man sich, zur besseren Argumentation, die behördlichen Betriebsgenehmigungen vor. Nachtrag eins, zwei der zweiten Teilerrichtungsgenehmigung - ein parlamentarischer Mitarbeiter der Stuttgarter Grünen stutzte, las noch ein weiteres und ein drittes Mal. Drei Worte waren verschwunden: Aus der Genehmigung für den „Anfahr– und Probebetrieb“ des Kernkraftwerks Obrigheim war pauschal die „Genehmigung“ des Kernkraftwerks Obrigheim geworden. Durch schlichtes Weglassen von drei Worten hatte das AKW plötzlich seine Genehmigung erhalten, die aber in Wahrheit nie erteilt worden ist. Absicht oder redaktionelle Schludrigkeit ? Seit dem 10. April 1972 jedenfalls sind die drei Worte nicht wieder aufgetaucht, aus dem genehmigten Probebetrieb war der Dauer betrieb geworden. 120 Störfälle in 19 Jahren. Seit 19 Jahren brummt der heißeste Ofen der Republik, leistet 345 Megawatt Strom und heizt dem Neckar ein. Daran haben auch kritische Gutachten des TÜV Baden und der Reaktorsicherheitskommission von vor zehn Jahren nichts geändert. Und auch die bisher 120 offiziell genannten Störfälle, allein sieben der Kategorie A - also akute sicherheitstechnische Mängel, die bedeutende Störfälle oder Unfälle bewirkt haben und den „Aufsichtsbehörden sofort gemeldet werden müssen“, haben an der selbstbewußten Überzeugung von der Sicherheit „ihres AKW“ bei Betreibern und Beschäftigten nicht gekratzt. Daß der Obrigheimer Meiler schon zu Beginn seiner Karriere im Probebetrieb „kritisch“ wurde und 1969 den Neckar radioaktiv verseuchte, ist längst vergessen. Sicherheitstechnisch potentiell gefährliche Ereignisse der Kategorie B gab es im AKW Obrigheim in den vergangenen 19 Betriebsjahren allein 37mal, der Rest waren „Ereignisse von allgemeiner sicherheitstechnischer Bedeutung“. Daß sich Störfälle der Kategorien A und B in den letzten Jahren kaum noch ereignet haben sollen, führt die Grünen–Landtagsfraktion auf neue Tendenzen in der Bewertung zurück: Was früher gravierend war, wird heute verharmlost. Eine Leckage am Primärkreislauf des Kühlsystems beispielsweise, 1970 noch als Störfall der Kategorie A betrachtet, fiel 1983 in die dritte Kategorie zurück. Neben der fehlende Genehmigung für den Dauerbetrieb des AKW Obrigheim sprechen nach Ansicht der baden–württembergischen Grünen und des Darmstädter Öko–Instituts aber auch die Sicherheitsdefizite für eine sofortige Abschaltung des Odenwälder Atommeilers. Bereits im November vergangenen Jahres hatte die Reaktorsicherheitsgruppe des Öko–Instituts die „fehlende Auslegung der Anlage gegen den vollständigen Abriß einer Hauptkühlmittelleitung im Primärkreislauf (dem sog. 2F– Bruch)“ festgestellt - seit Jahren gehört eine solche Auslegung zum internationalen Standard bei Druckwasserreaktoren. Ein solcher Abriß, so die Wissenschaft ler, und eine Leckage mit entsprechendem Kühlwasserverlust sei in der Obrigheimer Anlage nicht mehr beherrschbar. Der Reaktor würde durchgehen, ein Super– GAU. Was noch in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren des AKW Wyhl eine zentrale Rolle spielte, ein Berstschutz gegen Flugzeugabstürze und andere Außeneinwirkungen, in Obrigheim denkt man gar nicht daran. Erdbebenvorsorge, so die Betreiber, sei verzichtbar, denn solche gebe es nicht im Odenwald. Daß neben dem Reaktorgebäude andere Anlagen und vor allem das erst Ende der siebziger Jahre errichtete Notstandsgebäude nicht den heutigen Richtlinien der Reaktorsicherheitskommission entsprechen, kann schon fast vernachlässigt werden. Und eine nachträgliche Verbesserung der Anlage, so stellte der badische TÜV fest, ist auch gar nicht mehr möglich. Noch im vergangenen Jahr kursierten in Stuttgart Gerüchte, die baden–württembergische Landesregierung beabsichtige Obrigheim aus wahltaktischen Erwägungen vom Netz zu nehmen. Davon war seit Beginn dieses Jahres und nach der Betriebsbilanz 86 des AKW nicht mehr die Rede.

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