Seilschaften in Bremen: Männerfreundschaft und Medienmacht
Der Bremer "Weser-Kurier" demonstriert, wie eine mediale Monopolstellung zur Geschichtsklitterung missbraucht werden kann: Bremens ehemaligen Theraterintendanten Hans-Joachim Frey zu rehabilitieren.
Die Angehörigen des Bremer Theaters rieben sich verwundert die Augen: Ihr alter Chef war wieder da! Zwar nur in der Zeitung, dort jedoch ganz groß: Hans-Joachim Frey, der 2009 in Bremen einen finanziellen Scherbenhaufen und psychisch ziemlich mitgenommene Mitarbeiter hinterließ, lächelte ihnen etwas schmerzlich von der Titelseite des Weser-Kurier aus zu - und definierte sich per Schlagzeile selbst als Opfer: "Ich passte anscheinend nicht ins System."
Der Frey das verkünden lässt, ist der Chefredakteur selbst: Lars Haider, seit zwei Jahren Chef von Bremens beinahe-monopolistischer Tageszeitung, führte ein großes Kulturinterview, was sonst nicht seine Art ist. Nun aber hatte Frey Gelegenheit, am Wiederaufbau seiner vor Ort arg derangierten Reputation zu arbeiten, und das gleich doppelt: Als beinah ganzseitiges Interview und als Aufmacher der Titelseite - soviel Ehre und Aufmerksamkeit wird der Kultur sonst nie zuteil.
Warum wird die Kultur so unvermutet zur Chefsache erklärt? Ein wesentlicher Teil der Erklärung heißt Männerfreundschaft. Man kennt sich eben - aber man kennt sich nicht aus. Was beim fragenden Chefredakteur ebenso offensichtlich wie unfreiwillig ist, reklamiert Frey für sich ganz explizit: Unkenntnis. "Es gab zu keiner Zeit ein funktionierendes Controlling", sagt er - ganz so, als sei er als haftender Geschäftsführer der Theater GmbH nicht selbst dafür zuständig gewesen.
Vollends absurd klingt Freys Klage über das im Monats-Takt wachsende Defizit von "Marie Antoinette", dem Musical, das zu Freys Abgang führte. Beim Betriebsrat stoßen Freys Schuldverweise auf wenig Verständnis. "Es wäre Ihr Job gewesen, das zu wissen", schreibt er in einem offenen Brief - und listet detailliert auf, in welchen Gelegenheiten Frey auf welche Risiken und Planungsmängel hingewiesen wurde. "Herr Frey leidet offenbar an Wahrnehmungsverschiebungen", sagt Betriebsrat Dirk Bauer, der bei allen Sitzungen des Aufsichtsrats dabei war.
Zudem hat Frey selbst aktiv zur Kostenexplosion beigetragen. Etwa mit mündlichen Absprachen, von denen niemand wusste: "Ich berechne hiermit, wie auf dem Rückflug von Japan vereinbart, 35.000 Euro", schrieb irgendwann der Komponist, der die musikalische Anpassung des aus Asien importierten Musicals vornahm - aber nicht eingeplant war. Unter Frey verdreifachten sich die Ausstattungskosten, die des Personals stiegen um den Faktor zehn.
Statt zu solchen Entwicklungen Stellung nehmen zu müssen, kann Frey im Interview seine "Seebühne" preisen. Die Wiederbelebung der Open Air-Oper am Weserufer ist offenbar das zweite Motiv der medialen Offensive. Das Bremer Kulturressort hat sie gerade wegen der aus dem Ruder laufenden Kosten beerdigt, was weder Frey noch der Weser-Kurier hinnehmen wollen. Frey darf sich trotz seines Abgangs bis 2012 "Intendant der Seebühne" nennen, der Weser-Kurier hat ökonomische Interessen: Das verlagseigene Ticketing verdiente gut an den bisherigen Produktionen.
Solche Geschäftsinteressen führen zu Geschichtsklitterung: Dass am diesjährigen Misserfolg die "Schafskälte" schuld war, wie Frey verkündet, im Verbund mit "frühen Ferien" und dem - offensichtlich unvorhergesehenen - Stattfinden der Fußball-WM: geschenkt. Arg ist allerdings, dass Frey unwidersprochen behaupten kann, seine Seebühne weise unterm Strich ein positives Saldo auf. Bilanziert man die offiziellen Abschlüsse der bisherigen Produktionen, ergibt sich ein Minus von 110.000 Euro. Dem liegt noch nicht mal eine Vollkostenrechnung zu Grunde, die etwa die Personaltransfers aus dem Haupthaus einbezieht.
Nun ist Haider nicht Freys einziger Bremer Freund. Auch der Wirtschafts-Staatsrat zählt zu ihnen - und die landeseigene Wirtschaftsförderung (WFB) hat bereits Interesse bekundet, die Seebühne weiter zu führen. Dazu braucht sie publizistischen Rückenwind - sowie einen Intendanten, der als rehabilitiert und des Rechnens mächtig gelten kann. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Haider Frey nicht näher zum Musical-Desaster befragt. Zum Beispiel, warum die private Ausfallbürgschaft, mit der Frey das Projekt als restlos abgesichert verkaufte, nie zum Tragen kam. Die Antwort wäre gewesen: Weil sie die "ordnungsgemäße Geschäftsführung" des Projekts zur Bedingung hatte. Die war unter Frey nicht gegeben, wie eigens eingeschaltete Wirtschaftsprüfer feststellten. Der Schweizer Mäzen konnte seine Ausfallbürgschaft behalten.
Das Theater hingegen hat seitdem 2,5 Millionen Euro Musical-Schulden. Der stillere Skandal besteht darin, dass Frey im regulären Spielbetrieb zwei weitere Millionen Euro Defizit machte. Die 100.000 Euro teure Musicalpremieren-Sause, deren Gäste per Porsche-Korso zum nahe gelegenen Opernhaus chauffiert wurden, fällt da kaum noch ins Gewicht. Ein Jahr später langte es nicht mal mehr für die Straßenbahn: Das Theater musste seine Ticket-Kooperation mit dem ÖPNV kündigen.
Frey selbst konzentriert sich derweil aufs internationale Geschäft. Überwiegend in Ländern, wo man mit anderen Schriftzeichen googelt. In Russland beispielsweise ist Freys Ruf ohnehin hervorragend. Er pflegt persönliche Kontakte zu Wladimir Putin und organisiert 2011 eine große Gala in St. Petersburg. In Seoul bekleidet Frey eine Gastprofessur für internationales Kulturmanagement. Apropos Korea: Man hätte Frey auch fragen können, ob dorthin mittlerweile, wie mehrfach angekündigt, das ein oder andere Kostümstück aus "Marie Antoinette" verkauft wurde. Eigentlich sollte die gesamte Produktion in Asien vermarktet werden, um das Defizit ein wenig zu mindern - Schwamm drüber.
Grundsätzlich problematisch bleibt, dass Frey für die Produktionen der Open Air-Bühne die selbe Subventionsberechtigung reklamiert wie für das Kerngeschäft des Theaters. Dazu gehören etwa die - übrigens auch unter Frey zum Teil beachtlichen - Produktionen des Musiktheaters. Frey hat sowohl mit selten gespielten Barockopern als auch mit Ligetis "Le Grand Macabre" oder der Uraufführung von "Gegen die Wand", einer Bühnenversion des Fatih Akin-Films, durchaus auch Qualität befördert. Um so bedenklicher, dass er nun die Unterschiede zu einer dezidiert aufs Kulinarische zielenden Freiluft-Aufführung von "Aida" leugnet. Dass solche Extra-Events nicht aus dem Theaterhaushalt quer zu finanzieren sind - weder von den Kapazitäten noch von dessen Zweckbestimmung her - müsste jedem klar sein, auch jedem fragenden Journalisten.
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