Sei chaotisch, wenn es angebracht ist

EASY Easydoesit hat sich mit Videos für Haftbefehl einen Namen gemacht, ist aber auch eine Gang, die Partys crasht und Unfug treibt

VON JURI STERNBURG

Der erste Eindruck ist austauschbar. Eine Kreuzberger Dachetage, weiße Wände, der obligatorische Kicker, der in keinem Start-up-Unternehmen fehlen darf, und natürlich jede Menge überdimensionale Apple-Bildschirme. Das Kreativbüro von Easydoesit, derzeit hauptsächlich mit Musikvideoproduktionen befasst, platzt aus allen Nähten.

Morgen ist mal wieder ein Abgabetermin, deshalb wuseln alle durcheinander. Schnitte werden abgenommen, Grafiken zusammengebastelt und Tennisbälle durch die Gegend geworfen. Letzteres hat keinen produktiven Grund. Zeit, unbeachtet durch die Räume zu tingeln und sich alles etwas genauer anzugucken. Auf dem Boden liegen ein paar Goldene Schallplatten herum, auf einem der Sofas schläft jemand, ein Praktikant stolpert angetrunken ins Büro, um sich seine Gratis-Schuhe abzuholen. Trotzdem scheint jeder zu wissen, was er zu tun hat, und wenn es nur darum geht, gute Laune zu verbreiten, den richtigen Song durch die Räume dröhnen zu lassen oder sich kurz aufs Dach zu legen, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen.

Easydoesit hat sich während der letzten Jahre einen Namen gemacht in der Musik- und Videobranche. Mit dem Clip zum Nummer-1-Hit „Lila Wolken“ etwa, durch Produktionen für Robin Schulz und Marla Blumenblatt oder durch die neueste Kampagne für den Rapper Haftbefehl. Dessen neue Videos „Saudi Arabi Money Rich“ und „Lass die Affen aus’m Zoo“ haben für jede Menge Aufmerksamkeit gesorgt. In der Rapszene unter anderem aufgrund der tanzenden orthodoxen Juden im Video des Deutschkurden, in der Bild aufgrund der expliziten Gewaltszenen und in den Feuilletons wegen der Qualität der Videos und vor allem der Sprachgewalt des Künstlers.

Der Regisseur dieser beiden Videos, Chehad Abdallah, Gründer des ebenfalls hier angesiedelten Creative Studios „Cheesecake Powerhouse“, sitzt an seinem Schreibtisch, hinter ihm ein selbst entworfenes Kunstwerk – „Umgedrehter Michael Jordan am Kreuz“ – und diskutiert mit Produzent und Teilhaber Sebastian von Gumpert das neueste Projekt. Gleichzeitig läuft ein Trash-Video auf YouTube, man amüsiert sich köstlich. Daneben sitzen zwei Angestellte und veranstalten ein fünfzehnminütiges Grafikbattle. Vorgaben: Laser, Schafe, Katzen, Saddam Hussein und Cristiano Ronaldo. Zwischen den wirklich wichtigen Aufgaben stimmt das Kollektiv ab, welcher der beiden Grafiker den Wettbewerb gewonnen hat. Dimitri Hempel und Gregor Möllers, ebenfalls Mitgesellschafter, sichten derweil Fotos von einem Trip nach Nordkorea.

Easy ist überall

Wer sich in Berlin mit offenen Augen durch die Straßen bewegt, dürfte nicht um die Abermillionen von Aufklebern herumgekommen sein, die alle paar Meter das Straßenbild verschönern. An Ampeln, Spätis oder Telefonzellen, das schlichte „EASY“ ist überall. Gerade in Kreuzberg, Basis und Herz der Gang, gibt es kaum jemanden unter 30 Jahren, der nicht irgendetwas mit dem Schriftzug verbindet. Zu dem einfach gehaltenen Logo gibt es weder eine Erklärung noch eine Webadresse oder Ähnliches.

Als die HipHop-Legende Eazy-E den gleichnamigen Song 1988 veröffentlichte und im Refrain unter anderem die Zeile „Boy, you should have known by now, Eazy does it!“ rappte, da begann ein Großteil der heutigen Easydoesit Crew mit den ersten Gehversuchen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Dennoch ist die Botschaft dieselbe: „Junge, du solltest inzwischen wissen, wer wir sind.“ Ob jemand jetzt denkt, dass es sich dabei um eine professionelle Party-Crashing-Crew, um Skateboarder und Graffitikünstler, T-Shirt-Produzenten oder eben eine Videoproduktionsfirma handelt, ist zweitrangig, schließlich hat sich Easydoesit selbst keine Limits gesetzt. Warum nicht eines Tages Spielfilme drehen? Und außerdem ist man ja auch von all dem etwas.

Ein Wodka-Produzent betritt die Szenerie, er hat eine Palette Schnaps dabei und weiß nicht, wo er die hinstellen soll. Was nach den üblichen Alkohol- und Drogenproblemen junger Kreativer aussieht, hat einen Hintergrund. Easydoesit ist mehr als eine reine Kreativschmiede, es ist eher eine freiwillige Familie. Ob es sich um Musiker, Schriftsteller, Make-up-Artists, Skateboarder, Graffiti-Sprüher oder einfach nur Vagabunden handelt, die Masse der Menschen, die sich zugehörig fühlen, ist enorm. So eben auch der Berliner Wodkahersteller. Kein Wunder, dass ein Partyabend mit den Jungs und Mädels oft mit einem charmanten „Schreib mal Easydoesit plus 20 auf die Gästeliste“ beginnt. Derartige Kontingente sind wiederum kein Problem, weil man sich kennt, weil das Prinzip der Kreuzberger „geben und nehmen“ heißt.

Wenn jemand innerhalb von wenigen Stunden eine riesige Party für ein Video braucht oder für ein Fotoshooting ein paar Sprüher gebraucht werden, wenn man den Abend in Kreuzberger Bars und Clubs verbringen und dabei Mexikaner vom berühmt-berüchtigten „Schnaps-Skateboard“ trinken will, wenn man auf die Triple-Feier von Bayern München möchte, um auf Manuel Neuers Schultern zu reiten, oder sich wünscht, mit Jupp Heynckes zusammen Fußballlieder zu grölen – dann meldet man sich bei Easydoesit. Auch ohne VIP-Bändchen findet man immer einen Weg, irgendwo reinzukommen, ob durch das Klofenster oder den Mitarbeitereingang der befreundeten Barkeeper.

Das Kollektiv und sein Umfeld, größtenteils schon lange zusammen unterwegs und auch abseits der Arbeit untrennbar verwoben, hat es mit einer relativ simplen Strategie geschafft, sich nach oben zu katapultieren: Sei chaotisch, wenn es angebracht ist – liefere ab, wenn es nötig ist! Mitgründer und Teilhaber wie Maxim Rosenbauer, seines Zeichens Fotograf, Kameramann, Profi-Skateboarder und sympathischer Vollzeitchaot, schaffen es, genau die richtige Mischung aus totalem Exzess und professioneller Arbeit an den Tag bzw. die Nacht zu legen, die ein solcher Haufen braucht.

Springt von den Bäumen

Eventuell war man bis morgens um neun in einem geschlossenen Freibad nackt baden oder hat die Party eines Edelclubs gestürmt, aber wenn es drauf ankommt, ist man am Start. Vielleicht fährt man zusammen mit allen Freunden morgens um sieben an den Schlachtensee und springt von Bäumen, bis sich irgendwer etwas bricht. Vielleicht hat man sich mit einer abstrusen Begründen in die Hotelsuite eines amerikanischen Stars geschlichen und dort eine exklusive Fotoreihe ergattert, weil man sich auf Anhieb gut verstand. All das soll schon vorgekommen sein und trägt zur Legendenbildung bei.

Und nun also ein Buch: „Wir, die Gang und der ganze Rest“. Warum auch nicht. Es ist schweinekalt, und vor dem Showroom auf der Torstraße drängeln sich Dutzende Freunde und Fans, die Galerie ist bereits überfüllt. Heute wird das Release dieses neuesten Werks gefeiert, für das man Künstler und Gangmember wie Miss Platnum, Markus Staiger, Paul Ripke, Sascha Ehlert, Oliver Rath, Specter Berlin sowie meine Wenigkeit gewinnen konnte. Jeder hat das gegeben, was er am besten kann. Nebenbei ist das Buch ein dezenter Seitenhieb auf die Biografie des Mehrfach-Platin-Rappers Cro, welcher – mit Pandamaske und seichten Beats ausgestattet – ausgerechnet „Easy does it“ als Titel seines Buchs wählte. Statt sich sinnlos zu beklagen oder sich künstlich aufzuregen, brachte man eben innerhalb eines Monats ein eigenes Buch auf den Markt, mit ähnlichem Cover und Titel.

Wie so oft dauert es auch hier nicht lange, bis die Stimmung auf dem Siedepunkt ist, denn neben der organisierten Zerstörung von fremden Partys ist man schon längst dazu übergegangen, eigene Partys zu veranstalten. Dort werden dann die musikalischen Helden der Jugend dazu überredet, ihre alten Songs zu performen, die sie eigentlich nicht mehr spielen wollen. Die danach auf YouTube veröffentlichten Videos der Party sind inzwischen legendär, von einer Easy-Party geht niemand nüchtern und unbeschadet nach Hause.

Vor allem geht aber selten jemand nach Hause. Denn irgendwann liegen sich alle in den Armen, stoßen auf die Liebe an und werfen Gläser an die Wand. Bis zum nächsten Morgen.

■ Die „Endabriss“-Party von Easydoesit findet am 13. Dezember ab 23 Uhr im Prince Charles im Aufbauhaus, Prinzenstraße 85F statt. „Wir, die Gang und der ganze Rest“, 224 Seiten, Hardcover, ist für 17,90 Euro bei www.easydoesit.de erhältlich