Segel-Wettstreit: Das Mädchen und das Meer
Eine 13-Jährige Niederländerin möchte alleine die Welt umsegeln - die Behörden wollen das jedoch verhindern. Deshalb muss ein Familiengericht über das elterliche Sorgerecht entscheiden.
Sie und "Guppy" wollen so schnell wie möglich weg. So steht es auf einer Website der 13-jährigen Laura Dekker aus Wijk nahe Utrecht. Aus dem als einengend empfundenen Korsett der Heimat ausbrechen möchten in dem Alter viele. Aber nur wenige treiben diese Pläne tatsächlich voran und finden zudem auch noch die Unterstützung der Familie.
Eine so bedingungslose Unterstützung, dass sie in Kauf nehmen, das Sorgerecht für das eigene Kind zu verlieren. Laura nämlich plant, mit ihrem 8,3 Meter langen Segelboot "Guppy" während der nächsten zwei Jahre um die Welt zu reisen. Aber ohne den Segen der niederländischen Behörden.
Am 1. September, so ihr Wunsch, geht es los. Im Dezember soll sie auf den Kanarischen Inseln ankommen, im Januar 2010 in der Karibik, über Panama und den Pazifik nach Australien. Bis Februar in Sri Lanka, im April durch das Rote Meer, im September 2011 dann wieder in den Niederlanden. Doch damit es so weit ist, muss am Freitag erst ein Gerichtstermin absolviert werden. In Utrecht möchte das Bildungsministerium den Eltern das Sorgerecht entziehen lassen, wer nämlich um die Welt segelt, der kann nicht zur Schule gehen. Ein für die Behörde für Kinder- und Jugendschutz gewichtiges Argument.
Und ein mächtiger Hebel in dieser Sache, schließlich gilt die Schulpflicht als eine der wenigen Einschränkungen in den Grundrechten. Soll heißen: Niemand kann daran gehindert werden, das Land zu verlassen. Es sei denn, er muss zur Schule. Laura selbst möchte ihren Realschulabschluss im Fernstudium erreichen, eine reichlich illusorische Idee in Anbetracht von Lernpensum und Arbeit an der Pinne.
Doch was bedeutet so eine Reise für eine 13-Jährige über die Schulpflicht hinaus? Schließlich wäre Laura ganz alleine Wind und Wetter ausgeliefert sowie den anderen Gefahren der See wie Treibgut und Piraten. Ausreichend Schlaf wäre ihr, der Heranwachsenden, nicht gewährleistet. Zwar bestünde eine Satellitenverbindung, sie hätte reichlich Möglichkeit, die Reise abzubrechen, und kann auf eine bislang schon sehenswerte Segelkarriere zurückblicken, ja kam gar auf einem Boot zur Welt. Doch reicht das, um von einer autarken Entscheidung des Teenagers ausgehen zu können? Wie versessen der Vater die Segelleidenschaft seiner Tochter treibt, zeigt auch ein Vorfall in Großbritannien. Dort nämlich wollte die Polizei Laura daran hindern, alleine in die Niederlande zu segeln, er ließ es aber zu.
Unbestritten, dass Laura technisch fit ist, auch wenn man daran zweifeln kann, ob das Kind, denn das ist sie noch, körperlich stark genug ist. Aber Freundschaften und Bindungen sind auch wichtig in diesem Alter. "Eine 13-Jährige", so Micha de Winter, Professor für Kinderpsychologie an der Universität Utrecht, "ist inmitten ihrer Entwicklung und kann diese nicht alleine bewältigen. Dafür braucht man Altersgenossen und Eltern." Abgesehen davon aber kann man zweifeln, ob eine 13-Jährige zur Selbstüberschätzung neigt und sie sich bei Sturm auf hoher See nicht in einen Kreis pubertierender Mädchen wünscht, die zum x-ten Mal gemeinsam "High School Musical III" schauen.
Entscheidet das Gericht gegen die Eltern, möchte Laura nach Neuseeland auswandern, dessen Staatsbürgerschaft sie neben der niederländischen und deutschen besitzt.
Vor allem leidet das Mädchen unter dieser um sie kreisenden Posse - sie wird zwischen den konträren Meinungen aufgerieben. Zwischen dem, was Freiheit bedeutet, und dem, was Sicherheit bietet. Schuld daran sind die Eltern, die dem Kind mehr ermöglichen, als ihm gut tut, egal wie erwachsen ihre Tochter schon ist oder für wie erwachsen sie sie halten.
Am schlimmsten aber wiegt, dass Laura schnell abreisen soll. Damit sie den Rekord bricht und als jüngster Mensch alleine um die Welt segelt. Das presst sie in ein Korsett, das mit Freiheitsliebe und Weltenbummlertum nichts zu tun hat. Hier geht es um knallharte Leistung, die das Mädchen bringen muss, wird es nicht vom Gericht daran gehindert.
Wünschen sollte man es Laura und "Guppy" nicht, dass sie am 1. September in See stechen. Wenn der Wunsch nach einer Weltumseglung so groß ist, dann wird dafür auch noch in zwei Jahren Zeit sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?