Seelischer Mehrwert: Pragmatische Grenzziehungen sind notwendig
Eigentlich ist es ein Widerspruch: Da hat die evidenzbasierte Medizin in einigen klinischen Studien nachgewiesen, dass viele homöopathische Medikamente und auch Präparate der Pflanzenheilkunde häufig nicht mehr helfen als Placebos, trotzdem erfreuen sich homöopathisch arbeitende Ärzte regen Zulaufs, eröffnen Ayurvedazentren, und auch die anthroposophische Medizin findet ihre Anhänger – häufig unter Frauen aus gebildeteren Milieus. 85 kleinere gesetzliche Kassen, örtliche Betriebs- und Innungskrankenkassen finanzieren jetzt homöopathische Behandlungen, mit den größeren Kassen wird darüber verhandelt.
Die Komplementärmedizin, so hat sich auch bei Gesundheitspolitikern herumgesprochen, bietet nämlich außer den Arzneien in Form von Glaubenssystemen einen seelischen Mehrwert, der Geld einsparen hilft: Wer sich alternativen Heilverfahren zuwendet, tut oft selbst viel für die Gesundheit, raucht nicht, trinkt kaum Alkohol, ernährt sich gesünder, geht regelmäßig zum Yogakurs und gibt vor allem die Hoffnung nicht auf. Es handelt sich also nicht unbedingt um durchgeknallte Esoterikerinnen. Trotzdem ist es richtig, Grenzen zu ziehen: Wenn sich aus Gründen der Einsparungen im Gesundheitssystem heute manche Leute keinen Zahnersatz mehr leisten können, wäre es nicht vermittelbar, Ayurveda-Kuren aus Beitragsmitteln zu bezahlen. Die Wirkungsforschung mit ihren klinischen Studien, die vom Bundesgesundheitsministerium gefördert wird, mag daher manchem alternativen Heilkundler auf die Nerven gehen, sie liefert aber immer noch pragmatische Leitlinien. Dabei ist es wichtig, auch widersprüchliche Studienergebnisse zu veröffentlichen und die Grenzen der Wirkungsforschung aufzuzeigen. Schließlich sollten Heilverfahren zum „Empowerment“, zur Selbstverantwortung der Patienten beitragen. BARBARA DRIBBUSCH
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