Seelenverwandschaft: Wahre Liebe kostet nicht
Nicht nur Ikea-Möbel, auch Ikea-Marketing und Ikea-Verpackungen sind in der Ausstellung "Fenomen Ikea" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen. Ist die Schau Ausdruck einer neuen, großen Liebe?
Kurze Bestandsaufnahme: Am Schauspielhaus Hamburg läuft derzeit ein Ikea-Stück, es trägt den Titel "Das Wunder von Schweden" und erzählt die Lebensgeschichte von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ist ab morgen die Ausstellung "Fenomen Ikea" zu sehen, die Ikea-Produkte aus sechs Jahrzehnten zeigt. Im Stadtteil Hamburg-Altona will Ikea Deutschlands ersten so genannten "City-Store" einrichten. Ikea und Hamburg scheinen sich lieb zu haben. Aber warum?
Einfache Antwort: Es gibt Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel die Kombination aus Heimatverbundenheit und weltweiter Geschäftstätigkeit. Ikea hat Småland, Hamburg hat den Hafen. Ikea hat die rechteckige Flachverpackung, Hamburg hat die Container. Ikea hat trotz oder gerade wegen der Krise eine Umsatzsteigerung von 2,3 Prozent hinbekommen, Hamburg hat … damit etwas, zu dem es aufschauen kann. Ikea umgibt der Glanz von Hipness und Erfolg, Hamburg verschwindet im Nebel und stochert im Haushaltsloch. Vielleicht ist deshalb die Liebe, die Hamburg Ikea gegenüber zum Ausdruck bringt, so groß. Noch unklar ist, ob Ikea die Liebe erwidern wird.
Die Ausstellung "Fenomen Ikea" zeigt rund 250 Exponate und singt ein weitgehend distanzloses Loblied nicht nur auf die Produkte von Ikea, sondern auch auf deren Verpackung (!) und auf ihre Vermarktung. Im Kern ist es die Ikea-Ausstellung "Democratic Design" der Neuen Sammlung München, die die Hamburger importiert und mit einigen neuen Aspekte versehen haben. Dazu gehört der Aspekt der Verpackung: Mitten im Museum stehen ein paar Regale mit Ikea-Kartons, wie man sie aus den Ikea-Läden kennt.
1943 entwickelte der Schwede Ingvar Kamprad die Geschäftsidee
1963 eröffnete der erste Ikea in Oslo, Norwegen
1974 wird die erste Filiale in München, Deutschland aufgemacht
Heute existieren 267 Einrichtungshäuser in 25 Ländern rund um den Globus
In Deutschland verfügt das Unternehmen über 45 Standorte
Weltweit beschäftigt der Konzern 123.000 Mitarbeiter in 39 Ländern
590 Millionen Menschen besuchten 2008 weltweit die Ikea-Einrichtungshäuser
Der Umsatz stieg im Geschäftsjahr 2009 von 21,1 auf 21,5 Milliarden Euro
Den höchsten Umsatz erzielt dabei Deutschland. Er stieg 2009 um 2,3 Prozent auf 3,34 Milliarden Euro an.
Ansonsten sind es vor allem die Sitzgelegenheiten, die es den Ausstellungsmachern angetan haben: Stühle, Liegen, Sessel, für Kinder und für Erwachsene, aus verschiedenen Jahrzehnten und verschiedenen Materialien. Ikea startete in den 1950er Jahren mit dem Prinzip der flach verpackten Möbel zum Selberbauen. Seitdem ist einiges zusammengekommen an Design, und es war damals so, wie es heute ist: auf eine dezente Art schick.
Auf dem Weg in den Hauptraum der Ausstellung stehen Massenprodukte, die nicht von Ikea stammen, zum Beispiel ein Bobby Car, ein Volksempfänger, ein VW (im Modell) und ein Stahlrohrstuhl von Ludwig Mies van der Rohe. Damit soll darauf hingewiesen werden, dass wenigstens die Idee der Massenproduktion nicht von Ikea stammt. Dafür gibt es nachher Ikea-Werbespots auf Video, einen Ikea-Einführungsfilm und ein Plastikbälle-Becken aus der Ikea-Kinderabteilung. Im Möbelhaus dürfen nur die Kinder da rein. Im Museum auch die Erwachsenen.
Extrem schmeichelhaft ist für Ikea auch die künstlerische Sektion der Ausstellung: In der zeigen an sich ernst zu nehmende Künstler wie Thomas Schütte oder Morten Steen Hebsgaard Kunstwerke, die sie aus Ikea-Material produziert haben. Ferner gibt es zwei Wohnzimmer zum direkten Vergleich: Eines, das mit den Möbeln eingerichtet ist, die bei Ikea am erfolgreichsten verkauft werden. Und eines, das die Werbeagentur Jung von Matt bei einer Untersuchung als "das häufigste Wohnzimmer Deutschlands" eruiert hat: In dem gibt es von Ikea nur Bilderrahmen, ansonsten steht da eine Birkenfurnier-Schrankwand mit Sofaecke, wie man sie aus jenen Möbelhäusern kennt, die preislich noch unter Ikea liegen.
"Fenomen Ikea" ist eine durch und durch affirmative Ausstellung und wenn Kurator Nils Jockel sagt, die Ausstellung sei nicht von Ikea, sondern über Ikea, dann weiß man nicht, was Ikea anders machen würde. Ikea, das erschließt sich aus den Worten der Ikea-Pressesprecherin Sabine Nold, wäre schlichtweg nicht auf die Idee gekommen, die eigenen Produkte als Museumsexponate zu begreifen. "Ikea ist ein unhistorisches Unternehmen", sagt Nold. "Wir sind mehr auf den Alltag in der Gegenwart konzentriert." Ist also die Ausstellung für Ikea wie ein Sechser im Lotto? "Wir freuen uns riesig darüber, sehen es aber nicht unter Marketinggesichtspunkten", behauptet Nold.
Ikea kann sich auch ganz gut zurücklehnen, das weitere Marketing übernimmt schließlich das Museum selbst. "Ikea ist ein besonders gutes Beispiel, um Design zu vermitteln - und das ist unsere Aufgabe", sagte Kurator Jockel, der sich zahlreiche Schulklassen als Besucher wünscht. "Sicher werden Ikea-Produkte die ersten sein, die die Kinder kaufen werden, wenn sie von zu Hause ausziehen." Da wolle Jockel junge Menschen in die Lage versetzen, Einrichtungsfragen selbst zu lösen, aber jetzt auch nicht explizit "Ikea-Produkte empfehlen". Was nicht ganz einfach wird, in einer Ausstellung, die hauptsächlich aus Ikea-Möbeln besteht. Immerhin: Es sei kein Geld geflossen von Ikea an das Museum, sagt Jockel. Ikea habe lediglich Leihgaben beigesteuert.
Bleibt noch die andere große, viel langfristigere Frage beim Verhältnis zwischen Ikea und Hamburg. Es geht um den Ikea City-Store in Hamburg-Altona. Weichen soll dafür ein das so genannte "Frappant"-Gebäude, in dem sich aktuell Künstler-Ateliers befinden. Die Künstler müssen bis Ende des Monats ausziehen. Zwei Bürgerinitiativen engagieren sich, eine gegen und eine für die Ikea-Pläne. Ikea hat mal gesagt, man werde nicht gegen den Willen der Bevölkerung handeln. Ob der Ikea-City-Store tatsächlich kommt, soll im Januar entschieden werden.
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