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Seehofer kämpft für die Tabakwerbung in Europa

Heute Abstimmung in der EU: Es scheint mehr um Autorennen als um die 450.000 Rauchertoten pro Jahr zu gehen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Ausgerechnet der deutsche Gesundheitsminister muß sich in Brüssel für die Zigarettenindustrie ins Zeug legen. Die Bundesregierung möchte das geplante EU- weite Werbeverbot für Tabakprodukte verhindern. Und weil die Entscheidung heute auf der Tagesordnung der EU-Gesundheitsminister steht, muß der tapfere Horst Seehofer all die fadenscheinigen Argumente gegen das Verbot vortragen.

Er ist nicht ganz allein. Auch die österreichische und die griechische Regierung pochen auf die Werbefreiheit. Wenn sie noch zwei oder drei Gesundheitsminister überzeugen, können sie die Richtlinie blockieren. Die grundgesetzlich verbriefte „freie Meinungsäußerung“, so ein deutscher Beamter, gelte auch für die Zigarettenwerbung. Außerdem sei es wissenschaftlich nicht bewiesen, daß Tabakwerbung zum Rauchen verführe. Die millionenschweren Werbeetats der Zigarettenindustrie dienten nur dem gegenseitigen Kampf um Marktanteile unter den bereits Süchtigen. Das kann man übrigens auch in diversen Studien von Philip Morris nachlesen.

Seehofers stärkstes Argument aber zielt darauf, daß eine EU- weite Lösung nicht notwendig sei. Jede Regierung könne die Tabakwerbung im eigenen Land verbieten, wenn sie es für sinnvoll halte. Nach aller Erfahrung würden nur wenige Zeitungen und Zeitschriften über die Grenzen verkauft. Für das Fernsehen gilt bereits seit 1989 eine EU-Richtlinie, die Tabakwerbung verbietet. Genau das sehen acht der fünfzehn EU-Regierungen anders, vier weitere schwanken noch. Besonders Frankreich, Italien, Spanien, Finnland und Belgien fordern ein völliges europäisches Verbot. Auf nationaler Ebene haben diese fünf Länder die Tabakwerbung bereits untersagt und wollen jetzt die Auswirkungen eingrenzen.

Worum es wirklich geht, zeigt sich besonders schön am Beispiel Belgiens. Vor einer Woche hat das belgische Parlament ein Gesetz abgelehnt, das für den Autorennsport eine Ausnahme vom Zigarettenbann vorgesehen hätte. Seitdem ist der Graben zwischen Flamen und Wallonen noch etwas tiefer geworden. Denn die südbelgischen Wallonen sehen in dem mehrheitlich von Flamen unterstützten Anti-Tabak-Votum eine gemeine Verschwörung gegen ihren Rennzirkus in Spa-Franchorchamps. Ohne lukrative Zigarettenwerbung würden die Veranstalter der Formel 1 ihre Rennen woanders austragen, wettern die wallonischen Zeitungen, Tausende von Arbeitsplätzen seien bedroht. Jetzt helfe nur noch eines, empfehlen Rechtsexperten der Regionalregierung: Eine EU-Richtlinie müsse die Chancengleichheit zwischen den Rennstecken wiederherstellen.

Überhaupt hat man den Eindruck, daß es bei der ganzen Diskussion nicht um die 450.000 Rauchertoten pro Jahr geht, sondern in erster Linie um Autorennen. Der britische Premier Tony Blair hatte noch in seiner Regierungserklärung angekündigt, Zigarettenwerbung zu untersagen. Doch seit einigen Wochen will Blair dem Werbeverbot in Brüssel nur noch zustimmen, wenn der Motorsport ausgenommen bleibt. Als Begründung führt er die übliche Bedrohung der Arbeitsplätze an. Vor kurzem kam aber ans Licht, daß Blairs Labour Party im Wahlkampf 2,5 Millionen Mark von Bernie Ecclestone bekommen hat, der als Formel-1- Chef vielleicht auch ein paar Wünsche für das viele Geld geäußert haben könnte.

Auf eine solche Regelung wollen sich die anderen nicht einlassen. „Wie sollte man rechtfertigen“, so ein deutscher Diplomat, „daß die Zigarettenindustrie Autorennen, aber nicht kulturelle Veranstaltungen sponsern darf?“ Ob das der Grund ist, warum Bonn gleich die ganze Richtlinie ablehnt? Es ist sicher reiner Zufall, daß die beiden wichtigsten deutschen Rennstrecken, Nürburgring und Hockenheim, in Kohls Heimatland Rheinland- Pfalz liegen.

Dabei hat Italien längst gezeigt, daß sich Werbeverbot und Autorennen nicht ausschließen – im Gegenteil. Trotz des seit 1962 geltenden nationalen Verbots gelten die Rennen in Imola beispielsweise als Zigarettenfestspiele. Die Veranstalter zahlen ihre Strafen, man spricht von 300.000 Mark, bereits im voraus.

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